Der Blinde von Sevilla
zu provozieren.«
»Wir sind streitlustig geworden, was?«
»Ich weiß, wer angefangen hat«, sagte sie und drückte ihre Zigarette aus.
Durch den verwehenden Schlachtenqualm hindurch sahen sie sich an.
»Sie sind eine sehr aufmerksame Frau«, sagte er. »Sie wissen, wo meine Interessen liegen. Mein Interesse an Veruntreuung und Betrug ist eher begrenzt. Ich verstehe, dass Geschäftsleute sich für erwiesene Gefallen erkenntlich zeigen müssen. Sie müssen Freunden ihre Wertschätzung zeigen, einen Vorschuss leisten, damit die richtigen Worte in die richtigen Ohren gelangen, und Schweigen belohnen. Wenn man das mit öffentlichen Mitteln tun kann, ist das natürlich zweckmäßig. Nur der Staat hat so große Säckel.«
»Ich bin froh, dass Sie zu Ihrer alten Weitläufigkeit zurückgefunden haben«, sagte sie.
»Ich verstehe die Beziehung Ihres Mannes zu all diesen Leuten … bis auf einen. Eduardo Carvajal. Und ich bin nicht in der Lage, ihn selbst zu befragen, weil er nicht mehr unter uns weilt.«
»Ich glaube, er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«
»Vor ein paar Jahren«, bestätigte Falcón. »Er war Mitglied eines Pädophilen-Ringes, dessen übrige Mitglieder später alle verurteilt wurden.«
»Sie tun mir Leid, Inspector Jefe«, sagte sie. »Sie müssen Ihre Zeit an den dunkelsten und kältesten Orten der Erde verbringen.«
»Ihr Mann hat sich in seine erste Frau verliebt, als jene kaum dreizehn Jahre alt war.«
»Woher wissen Sie das?«
»Aus zwei verschiedenen Quellen. Vom ältesten Sohn Ihres Mannes und aus den Tagebüchern meines Vaters.«
»Ihr Vater und Raúl kannten sich?«
»Sie haben in Tanger einige Jahre lang gemeinsam Geschäfte gemacht.«
»Was für Geschäfte?«
»Ich glaube, jetzt ist es an mir, zurückhaltend mit den Tatsachen umzugehen, Doña Consuelo«, sagte Falcón.
»Wie dem auch sei … was Sie da eben angedeutet haben … Raúls Zuneigung hätte doch auch ganz unschuldig sein können«, sagte sie. »Sie war jedenfalls bestimmt nicht illegal.«
»Er hatte regelmäßige Kontakte mit der Prostituierten Eloisa Gómez, die zwar nicht minderjährig war, aber auf jeden Fall so aussah.«
»Er war auch mit mir verheiratet und hatte drei Kinder.«
»Wir wollen nicht wieder anfangen zu streiten, Doña Consuelo. Ich möchte bloß wissen, warum er es für nötig hielt, Eduardo Carvajal zu belohnen«, sagte Falcón. »Völlig inoffiziell, und was immer Sie sagen, wird in keinster Weise gegen Sie verwendet werden. Ich will lediglich einen Fingerzeig.«
»Besonders vorsichtig bin ich, wenn alles, was man mir präsentiert, anscheinend nur zu meinem Vorteil ist.«
»Ich bin sicher, dass Sie sich selbst hier in Sevilla ein feines Ohr für das Knistern allzu dünnen Eises bewahrt haben.«
»Das nützt Ihnen auch nicht viel, wenn Sie sich schon zu weit vom Ufer entfernt haben.«
»Dann bewegen Sie sich eben vorsichtig.«
Sie spielte mit einer neuen Zigarette und ihrem Feuerzeug.
»Sie haben eine neue Theorie«, sagte sie und zeigte mit dem Feuerzeug auf ihn.
»Ich leite eine Ermittlung. Es ist meine Aufgabe, unlösbare Probleme durch kreatives Denken zu überwinden. Ich gebe alte Theorien nie ganz auf, aber wenn sie nicht zu konkreten Ergebnissen führen, muss ich neue Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Polizeiarbeit so anspruchsvoll sein kann.«
»Es kommt darauf an, wie man sie angeht.«
»Und Sie sind der Sohn von Francisco Falcón.«
»Er hat nie viel von meiner Entscheidung gehalten, zur Polizei zu gehen.«
»Ich stelle mir vor, dass die Polizei selbst in der Ära nach Franco noch voller unsympathischer Zeitgenossen war«, sagte sie. »Was hat Sie dazu bewogen?«
»Meine romantische Ader.«
»Sie haben sich in eine Polizistin verliebt?«
»Ich habe mich in amerikanische Filme verliebt. Die Vorstellung vom Kampf eines Einzelnen gegen die vereinten Kräfte des Bösen hat mich fasziniert.«
»Und hat sich diese Vorstellung bewahrheitet?«
»Nein. Es ist alles viel komplizierter. Das Böse tut uns nur selten den Gefallen, in reiner Form aufzutreten. Und wir an der Front sind nicht immer so gut, wie wir sein sollten.«
»Sie entflammen meine Bewunderung aufs Neue, Don Javier.«
Der Gedanke, dass er sie in irgendeiner Weise entflammen konnte, gab ihm eine seltsame Befriedigung. Sie zündete ihre Zigarette an und blies Rauch über seinen Kopf.
»Eduardo Carvajal …«, sagte er zu ihrer Erinnerung.
»Sie glauben also, der Mörder
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