Der Blinde von Sevilla
feinen Gesellschaft aufgegeben. Ihre zivilisierte Höflichkeit langweilt mich. Nach meinem Triumph bei B.H. war ich sehr gefragt, doch jetzt ist das hungrige Biest weitergewandert. Ich bin erleichtert, aber immer noch überwältigt.
7. März 1947, Tanger
Ich habe aufgehört zu arbeiten. Sitze vor den mir verbliebenen sieben Zeichnungen von P. und habe keine einzige Idee mehr im Kopf. Sogar unter dem Einfluss von majoun habe ich zu arbeiten versucht. Einmal tauchte ich mit dem Gefühl wieder in die Wirklichkeit, etwas Großes geleistet zu haben, um dann festzustellen, dass ich sieben Leinwände schwarz gemalt hatte. Ich hänge sie in einem weiß verputzten Raum auf und stehe vollkommen verzweifelt zwischen ihnen.
25. Juni 1947, Tanger
Es widert mich an, wozu ich fähig bin. Meine Unfähigkeit, etwas zu schaffen, hat in mir ein Bedürfnis nach permanenter Veränderung geweckt. Ich ziehe durch die Bordelle auf der Suche nach immer neuen jungen Männern, derer ich sofort wieder überdrüssig werde. Ich rauche starkes Haschisch und verbringe ganze Tage damit, zu flattern wie eine Fahne im Wüstenwind. Meine Arme sind schwach, mein Penis ist schlaff. Ganze Abende sitze ich im La Mar Chica, umgeben von Betrunkenen, Halunken, Idioten und Huren. Ich habe das majoun aufgegeben – unter seiner Wirkung suchen mich nur die alten Grauen heim; blutbedeckte Wände, Rampen aus Leichen, Schlamm und Blut, Fleisch und weiße Knochen tummeln sich dann in meinem Kopf.
1. Juli 1947, Tanger
Nachdem ich betrunken vor R.s Tür gelandet bin, hat er mich wieder zur Arbeit auf den Booten verdonnert.
1. Januar 1948, Tanger
Ein neues Jahr. Es kann nur besser werden als das letzte. Noch immer kann ich der weißen Leinwand nicht gegenübertreten. Dies ist mein erster Eintrag seit Juli. Körperlich bin ich in besserer Verfassung, bin auch nicht mehr so fett, kann jedoch dieses Gefühl der Verzweiflung nicht loswerden. Ich habe versucht, P. zu finden, bin sogar nach Granada gefahren, nur um zu erfahren, dass ihr Haus verkauft und ihre Familie nach Madrid gezogen ist, ohne dass jemand wusste, wohin genau.
Ich habe nichts zu berichten. Die windgepeitschten chabolas am Stadtrand wissen nichts von dem Leiden in meinem privilegierten Körper. In der Hoffnung, einen neuen Schub von Möglichkeiten zu spüren, habe ich die sieben Zeichnungen von P. vor mir ausgebreitet. Ich habe genau das Gegenteil erreicht.
Ich durfte aufsteigen und das gewaltige Privileg genießen, durch den Spalt zu blicken und das wahre Wesen der Dinge zu schauen; dann habe ich es hinuntergezerrt und gewöhnlichen Sterblichen gezeigt. Doch P. war ein Teil davon, sie war meine Muse, und ich habe sie verloren. Ich werde nie wieder malen oder zeichnen.
25. März 1948, Tanger
Ich habe sie gesehen. Auf dem Markt beim Petit Soco. Ich habe sie gesehen. Über tausend Köpfe hinweg. War sie es?
1. April 1948, Tanger
Bin ich so verzweifelt, dass ich meine Hoffnungen an Phantome hänge? Ich gehe zu jedem Arzt in der Stadt, um zu erfahren, ob sie bei ihm angestellt ist. Nichts. R. will mich wieder auf die Boote schicken, bevor ich zu Boden stürze wie ein Vogel in der zu heißen Sonne.
3. April 1948, Tanger
Ich gehe aus dem Haus, und da ist sie, läuft auf und ab. Bei ihrem Anblick muss ich mich an der Tür festhalten, weil meine Knie weich werden. Ich bitte sie herein. Schweigend tritt sie über die Schwelle. Ihr Geruch erfüllt meine Brust, und ich weiß, dass ich gerettet bin. Der Hausboy macht uns Tee. Anfangs will sie sich nicht einmal setzen. Sie streicht dem Jungen übers Haar. Er verlässt den Raum wie von einem Engel berührt.
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es ist, als stünde ich vor der Leinwand und meine Hand würde in diese Ecke, jenes Quadrat und zur Mitte des Bildes wandern, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und so geht das schon seit Stunden, und wenn ich mich schließlich entscheide, wo ich die ach so weiße Leinwand berühren will, hinterlasse ich nichts, weil gar keine Farbe am Pinsel ist. Genauso ist es jetzt. Ich zwinge mich zu sprechen.
Ich: Ich habe dich in Granada gesucht … nachdem ich nichts von dir gehört hatte.
Schweigen.
Ich: Man hat mir erzählt, dass deine Tante gestorben ist, dass deine Mutter krank wäre und dass ihr alle nach Madrid gezogen seid.
P.: Das stimmte auch.
Ich: Aber niemand wusste eine Adresse oder wie man dich sonst erreichen kann.
P.: Das stimmte nicht.
Schweigen.
Ich: Und warum stimmte das nicht?
P.: Sie
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