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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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indem er mich allen Anwesenden vorstellt. Jedes Mal erhebt sich ein Getuschel bis hinauf zu den Kronleuchtern. Ich begreife, dass das Abendessen meinetwegen ausgerichtet wird, um mich der Gesellschaft zu präsentieren und mir zu schmeicheln. Man drückt mir einen Drink in die Hand, eine extrem starke Alkoholmischung. Der gigantische C.B. hat eine Hand auf meine Schulter gelegt. Noch keine Spur von unserer Gastgeberin. Ich bin schlecht gerüstet für den Anlass, nicht weil ich die Sprache nicht beherrsche, sondern weil mir das Talent zu gesellschaftlichen Nettigkeiten fehlt. Man spricht über New York, London und Paris, Pferde, Mode, Yachten, Immobilien und Geld. Ich erfahre einiges über unsere Gastgeberin, zum Beispiel, dass sie der amerikanischen Regierung ihr Haus in London geschenkt hat, dass der Wandteppich aus Qom stammt, die Intarsien aus Fès und der Bronzeschädel aus Benin. Diese Menschen hier wissen alles über B.H.s Welt, doch keiner hatte den Panzer ihres immensen Reichtums geknackt. Bis auf mich. Und deswegen bin ich hier. C.B. III hat jedem wortreich erklärt, dass ich B.H. beeindruckt habe, und zwar mittels einer einfachen, aber höchst betörenden Kohlezeichnung, die in ihrer Schlichtheit mehr sagt als der endlos restaurierte und hoffnungslos voll gestopfte Sidi-Hosni-Palast. Während ich mich durch den Raum bewege, erhalte ich Einladungen zu weiteren gesellschaftlichen Anlässen sowie mehrere sexuelle Offerten diverser Frauen. Dieselbe Verworfenheit, die in den Gassen des Petit Soco dick und trübe strömt, fließt auch hier, hinter den vergoldeten Wänden der Palastresidenz des alten muslimischen Heiligen Sidi Hosni.
    B.H. kommt direkt auf mich zu und streckt mir ihre Hand hin. Ich küsse sie. Wir stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie sagt: »Ich muss Ihnen etwas zeigen.«
    Wir verlassen den Raum. Sie geht auf eine Tür zu, die von einem großen, sehr schwarzen Nubier mit weißen Hosen und nacktem Oberkörper bewacht wird. Sie schließt auf, und der Nubier öffnet uns die Tür zu ihrer privaten Galerie. Ich sehe einen Fragonard, einen Braque, sogar einen El Greco. Ein Gemälde des grauenhaften Hochstaplers Salvador Dali, einen Manet, einen Kandinsky. Ich bin perplex. Auch verschiedene Zeichnungen gibt es dort, einen Picasso sowie andere, die, wie mir erklärt wird, von Hassan el Glaoui stammen, dem Sohn des Pascha von Marrakesch. Dann kommt der psychologische Knackpunkt des ganzen Abends. B.H. führt mich an eine freie Stelle der Wand und sagt: »Hier hin möchte ich etwas hängen, was meine Empfindungen für Marokko zusammenfasst. Es muss ein flüchtiges, aber offensichtliches und unberührbares Werk sein, enthüllend und gleichzeitig unverständlich, zugänglich, aber verborgen. Es muss mit einer Wahrheit locken, die in jenem Moment entgleitet, in dem man glaubt, sie berühren zu können.« Das waren nicht ausschließlich und genau ihre Worte, einige habe ich von C.B gehört, andere selbst eingestreut. Jedenfalls endete sie mit dem Satz: »Ich möchte, dass Ihre Zeichnung Teil dieser Sammlung wird.« Es war ein geplanter Angriff. Ich wusste, dass ich nachgeben musste. Weitere Zurückhaltung barg das Risiko, meine Gegner zu langweilen. Ich nicke. Ich willige ein. Sie packt meinen Oberarm, und gemeinsam starren wir fasziniert auf den freien Fleck an der Wand. »Charles wird die Einzelheiten mit Ihnen besprechen. Ich möchte, dass Sie wissen, dass Sie mich sehr glücklich gemacht haben.«
    Der Rest des Abends verschwamm in einem kristallenen Glitzern, was nicht unwesentlich an dem heftigen Alkoholkonsum lag. Als ich mich auf den Heimweg machte, hatte B.H. sich längst zurückgezogen. C.B. nahm mich zur Seite und erklärte mir, dass ich Mrs. Hutton sehr großzügig gestimmt hätte. »Sie belohnt Genie. Ich habe Anweisungen, nicht mit Ihnen zu verhandeln, sondern Ihnen einfach das hier zu überreichen.« Es war ein Scheck über 1000 Dollar. Er versprach mir, am nächsten Morgen vorbeizukommen, um das Werk abzuholen. Jetzt bin ich ein Zehntel einer goldenen Kaminuhr von Van Cleef & Arpels wert.

    23. Dezember 1946, Tanger
    Noch immer kein Wort von Pilar, ich bin verzweifelt. Ich versuche, die Arbeit voranzutreiben. Ich versuche, in Farben umzusetzen, was ich an jenem Nachmittag gesehen habe, doch es lässt sich nicht übertragen. Was so einfach war, ist kompliziert geworden. P. muss zurückkommen und mich an das erinnern, was ich an jenem Tag gesehen habe. Ich habe meine Stippvisiten in der

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