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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Oberfläche wie ein Mann, der sich aus einem sinkenden Schiff gerettet hat. Ich rapple mich hoch und versuche, mich anzuziehen, während mein Hausboy mit einem Umschlag neben dem Bett steht. Ich reiße den Umschlag auf. Er enthält eine goldgeprägte Karte von Mrs. Barbara Woolworth Hutton, die handschriftlich darum bittet, am 5. November 1946 um 14.45 Uhr Francisco González in seinem Haus besuchen zu dürfen. Ich zeige R. die Karte, und er ist sichtlich beeindruckt. »Wir haben ein Problem«, sagt er. R. mag Probleme, deswegen schafft er ständig welche. Das Problem ist mein Name.
    »Nenn mir einen González, der in der Kunstwelt irgendwas Bemerkenswertes geleistet hätte«, sagt er.
    »Julio González, der Bildhauer«, antworte ich.
    »Nie von ihm gehört«, sagt R.
    »Er hat mit Eisen gearbeitet – abstrakte geometrische Formen. Vor vier Jahren ist er gestorben.«
    »Weißt du, wonach sich Francisco González für mich anhört? Nach einem Vertreter für Knöpfe.«
    »Wieso Knöpfe?«, frage ich, doch er beachtet mich gar nicht.
    »Wie war der Mädchenname deiner Mutter?«
    »Ich kann den Namen meiner Mutter nicht verwenden.«
    »Warum nicht?«
    »Es geht einfach nicht, das ist alles.«
    »Wie lautet er denn?«
    »Falcón.«
    » No, no. No, que no … esto es perfecto. Francisco Falcón, das ist von jetzt an dein Name.«
    Ich versuche, ihm zu erklären, dass das nicht geht, will ihm aber auch nicht mehr verraten als nötig, also füge ich mich in mein Schicksal. Ich bin Francisco Falcón, und ich muss zugeben, der Name hat etwas … nicht nur den Stabreim, sondern auch einen eigenen Rhythmus, so wie Vincent van Gogh, Pablo Picasso, António Gaudi oder, noch schlichter, Joan Miró … den Rhythmus des Ruhmes. In Hollywood wissen sie das schon eine ganze Weile, weshalb wir eine Greta Garbo und keine Greta Gustafson und eine Judy Garland und keine Frances Gumm haben. Eine Frances Gumm schon gar nicht.

    5. November 1946, Tanger
    Sie ist wie versprochen gekommen, und ich bin trunken vor Glück. Heute Abend habe ich nicht geraucht, damit das diamantene Strahlen des Augenblicks nicht im Haschischnebel verloren geht. Sie kam, begleitet von Charles Brown, der neben ihr wie ein Koloss und gleichzeitig absolut unterwürfig wirkt. Ihre außergewöhnliche Anmut und Eleganz, ihre perfekte Kleidung und die samtweichen Handschuhe, die aus dem Unterbauch eines fünf Wochen alten Zickleins gemacht sein müssen, all das beeindruckt mich. Was mir noch mehr gefällt, ist ihre von Natur aus ablehnende Haltung. Ihr Reichtum hat sich nicht nur wie eine Aura um sie gelegt und von allen Normalsterblichen isoliert, er hat sie auch außerordentlich anspruchsvoll gemacht. Doch ich denke, wenn ihr etwas gefällt; wenn sie Feuer fängt … dann brennt sie lichterloh. Ihre Absätze klackern teuer über meine Terrakotta-Fliesen. Sie sagt: »Eugenia Errázuriz würde diese Fliesen lieben.« Wer immer das sein mag.
    Ich bin fasziniert, überrasche mich jedoch selbst durch meine relative Wortgewandtheit, als wir das Ausstellungszimmer betreten. Ich habe R.s Technik verfeinert. Diesmal habe ich die Zeichnung nicht einmal ausgestellt. Bedächtig einen Fuß vor den anderen setzend, schreitet sie durch den Raum. Charles Brown murmelt ihr irgendetwas ins Ohr, das ich mir mit Perlmutt ausgelegt vorstelle. Sie lauscht und nickt. Die maurischen Muster gefallen ihr. Die kargen russischen Landschaften lässt sie rasch links liegen, verharrt jedoch bei den Zeichnungen aus Tanger, bevor sie sich auf dem Absatz umdreht, die Ziegenlederhandschuhe in einer ihrer kleinen weißen Hände. »Das sind ausgezeichnete Arbeiten«, sagt sie. »Bemerkenswert, originell, recht eigenartig. Sehr ansprechend. Aber Charles sagte mir, dass Sie möglicherweise etwas haben, was noch über die Exzellenz dieser Werke hinausweist, die anzuschauen Sie mir freundlicherweise gestattet haben.«
    »Ich weiß, was Sie meinen, und habe schon Mr. Brown erklärt, dass es unverkäuflich ist. Ich hielt es für unfair, es Ihnen überhaupt zu zeigen.«
    »Ich würde es nur gern sehen«, sagt sie. »Ich würde Ihnen nie etwas nehmen wollen, das Ihnen derart wichtig ist.«
    »Dann verstehen wir uns ja«, sage ich. »Folgen Sie mir.« Ich habe die Zeichnung perfekt beleuchtet am Ende eines langen dunklen Korridors vor einer alten Mauer aus Backsteinen aufgestellt, und zwar unter einem weißen Bogen, der von zahllosen Überstrichen eine fast reliefartige Textur hat. Dieser Teil des Hauses ist

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