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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Antwort mit den Gedanken woanders.
    »Ich bin am Freitag nach Madrid gefahren«, sagte er dann. »Ich habe den ältesten Sohn Ihres Mannes besucht.«
    »Sie sind sehr gründlich, Don Javier«, sagte sie. »An so viel systematische Disziplin bin ich nach all den Jahren des Zusammenlebens mit den Einheimischen hier nicht mehr gewöhnt.«
    »Besonders gründlich bin ich, wenn mich etwas fasziniert.«
    Sie schlug die Beine übereinander und spreizte ihre Zehen unter dem roten Samtband der Pantolette. Sie wirkte wie eine Frau, die wusste, was man im Bett machte, ziemlich anspruchsvoll, aber dafür auch befriedigend. Aus dem müßigen Theoretisieren wurden konkrete Fantasien, und er sah sie im Geiste auf Knien vor sich, den schwarzen Rock über die Hüfte gezerrt, wie sie ihn herausfordernd ansah. Er schüttelte den Kopf, weil er es nicht gewohnt war, dass unkontrollierte Bilder durch seinen Verstand marodierten, schob bewusst alle mutwilligen Anwandlungen beiseite und konzentrierte sich auf die Eiswürfel in seinem Glas.
    »Sie wollten wissen, warum Gumersinda sich umgebracht hat«, sagte sie.
    »Es hat mich interessiert, warum Ihr Mann so zutiefst unglücklich war, wie Sie es genannt haben. Und Gumersinda muss es auch gewesen sein, als sie starb. Ich wollte wissen, was eine derartige Verheerung verursacht haben konnte.«
    »Sind alle Polizisten wie Sie?«
    »Wir sind wie alle Menschen … jeder von uns ist anders«, sagte Falcón.
    »Haben Sie es herausgefunden?«
    Im Verlaufe seines Berichts über sein Gespräch mit José Manuel verlor sich alle flirtende Erotik in Consuelo Jiménez’ Erscheinung. Sie zog den Fuß, der so dicht an seinem Knie gewesen war, zurück und setzte ihn neben den anderen auf die Marmorfliesen im Innenhof. Falcón schenkte Whisky nach.
    »Los Niños de la Calle« , sagte er.
    »Das habe ich auch gedacht«, sagte sie.
    »Sein geradezu zwanghaftes Sicherheitsbedürfnis.«
    »Ich hätte herausfinden müssen, was Raúl getan hatte. Ich hätte es nicht dabei belassen dürfen. Ich hätte es wissen müssen, um ihn zu verstehen … seine Motive.«
    »Und was wäre gewesen, wenn Sie dafür Ihr ganzes Leben hätten aufgeben müssen?«
    Sie zündete sich eine neue Zigarette an.
    »Glauben Sie, dass das irgendeinen Bezug zu dem Mord hat?«
    »Ich habe seinen Sohn gefragt, ob Arturo seiner Ansicht nach noch leben könnte«, sagte Falcón.
    »Und nun zurückgekommen ist, um sich zu rächen?«, fragte Señora Jiménez. »Das ist doch absurd. Ich bin sicher, sie haben den armen Jungen getötet.«
    »Warum? Ich bin mir genauso sicher, dass sie ihn irgendwie benutzt haben … zum Teppiche knüpfen oder was weiß ich.«
    »Wie einen Sklaven?«, fragte sie. »Und wenn er entkommen ist?«
    »Waren Sie schon einmal in einer Stadt wie Fés?«, fragte er. »Stellen Sie sich Sevilla ohne alle größeren Gebäude, Plazas und Parks vor, pressen sie es zusammen, sodass die Straßen enger sind und die Dächer der Häuser sich beinahe berühren, und dann kochen Sie es gut durch, bis alles zerfällt. Multiplizieren Sie das Ganze mit 100 und gehen vom heutigen Datum 1000 Jahre zurück, dann haben Sie Fez. Man kann die Medina als Kind betreten und als alter Mann wieder herauskommen und noch immer nicht alle Straßen gesehen haben. Und selbst wenn er es geschafft hat, zu fliehen und einen Weg aus der Medina zu finden, wohin sollte er gehen? Wer war er? Wo waren seine Papiere? Er gehörte zu niemandem und nirgendwohin.«
    Der Gedanke an diese schreckliche Möglichkeit ließ Consuelo zurückweichen.
    »Also suchen Sie jetzt nach ihm?«
    »Leitende Polizeibeamte, und damit meine ich Leute, die die Etats für die Polizeiarbeit verwalten, haben eine Aversion gegen Fantasie. Wenn ich sie zu einer Fahndung solchen Ausmaßes überreden wollte, müsste ich schon mit etwas sehr viel Besserem als einem Bericht über ein Gespräch mit José Manuel kommen«, sagte Falcón. »Wir sollen pedantisch sein, nicht erfindungsreich, weil alles, was wir machen, vor einem Richter landet, und die hassen es, sich in ihren Gerichten Geschichten anhören zu müssen.«
    »Und was werden Sie machen?«
    »Mir das Leben Ihres Mannes ansehen und schauen, was dabei so zutage tritt«, sagte er. »Sie könnten mir helfen.«
    »Würde mich das von der Liste der Verdächtigen streichen?«
    »Nicht solange wir den Mörder nicht gefunden haben. Aber es könnte mir eine Menge Zeit sparen bei der Erkundung eines 78 Jahre langen Lebens.«
    »Ich kann Ihnen nur bei den

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