Der blonde Vampir
mit seinen Nägeln und preßte unsere Arme aneinander. Mir erschien es wie eine kleine Ewigkeit, bis er mich wieder losließ. In dieser Nacht verlor Zeit jede Bedeutung für mich, und Liebe wurde zu Schmutz. Er sprach zu mir, während er mein Wesen veränderte, aber es waren Worte, die ich nicht verstand, Geräusche, welche die Yakshinis von sich geben, wenn sie sich in ihrer schwarzen Hölle vereinigen. Er küßte mich und strich mir übers Haar.
Schließlich verspürte ich die unglaubliche Kraft der Blutübertragung in meinem ganzen Körper. Meine Atmung und mein Herzschlag wurden schneller und schneller, bis sie einander jagten, bis ich zu schreien begann, als habe man meinen Körper in siedendes Öl getaucht. Aber noch immer verstand ich nicht, was ich bis zum heutigen Tag nicht verstehe. Am schlimmsten war, daß ich nicht genug kriegen konnte. Daß es mich mehr erregte als die Liebe, die mir ein Sterblicher je geschenkt hatte. In dieser Nacht wurde Yaksha mein Herr, und ich betete nicht mehr Vishnu an, sondern ihn. Auch dann noch, als mein Atem und mein Herzschlag plötzlich aussetzten. Ja, ich verriet meinen Gott, als ich starb. Ich entschied mich für den Weg, den mein Vater nie gegangen wäre. Ja, es ist die Wahrheit: Ich zerstörte mein Heil und verfluchte meine Seele, indem ich vor elender Lust schrie und den Sohn des Teufels umarmte.
4.
KAPITEL
Es ist dumm, von der ›Ungeduld der Jugend‹ zu reden. Je länger ich lebe, desto ungeduldiger werde ich. Natürlich schaffe ich es auch, ruhig und zufrieden dazusitzen, wenn gerade nichts los ist. Einmal habe ich sechs Monate lang in einer Höhle gelebt und mich nur vom Blut einer Fledermausfamilie ernährt. Aber im Laufe der Jahrhunderte hat es sich immer mehr eingespielt daß ich das, was ich will, auch sofort will. Ich gehe rasch Beziehungen ein. Darum betrachte ich Ray und Seymour in Gedanken schon als Freunde, obwohl wir uns doch erst so kurz kennen.
Natürlich kann ich eine Freundschaft ebenso schnell auch wieder beenden. Es ist Ray, der an die Tür klopft und meine Ruhe beendet. Wie ein Vampir überhaupt schläft? Die Antwort ist einfach: Wie jemand, der tot ist. Zwar träume ich oft, wenn ich schlafe, aber die Träume drehen sich meistens um Blut und Schmerzen. Am schmerzlichsten ist der Traum, den ich eben hatte: von Amba und Rama und Yaksha. Der Schmerz wird nicht weniger, auch wenn der Traum sich stets wiederholt. Meine Schritte sind schwer, als ich vom
Schlafzimmer zur Haustür gehe.
Ray hat seine Schulkleidung gegen Jeans und ein graues Sweatshirt getauscht. Es ist zehn Uhr. Ein Blick auf Ray sagt mir, daß er gerade überlegt, was er um diese Zeit eigentlich bei mir zu suchen hat. Bei diesem Mädchen, das er eben erst kennengelernt hat. Dem Mädchen mit den faszinierenden Augen. Wenn er bisher auch nicht an Sex gedacht hat, wird dieser Gedanke jetzt nicht mehr lange auf sich warten lassen.
»Bin ich zu spät dran?« fragt er.
Ich lächle. »Ich bin ein Vampir. Ich bleibe ohnehin die ganze Nacht auf.« Dann trete ich beiseite und mache eine einladende Geste. »Bitte, komm doch rein. Und entschuldige die kahlen Räume. Wie ich schon gesagt habe, sind die meisten Möbel immer noch in der Garage. Die Umzugsleute konnten nicht ins Haus, als sie alles hier angeliefert haben.«
Ray sieht sich um und nickt beeindruckt. »Deine Eltern sind nicht da, sagst du?«
»Ja, das habe ich gesagt.«
»Wo sind sie?«
»Colorado.«
»Wo in Colorado habt ihr gelebt?«
»In den Bergen«, antwortete ich. »Möchtest du etwas trinken?«
»Gerne. Was hast du denn anzubieten?«
»Wasser.«
Er lacht. »Hört sich großartig an. Wenn du mittrinkst, nehme ich ein Glas.«
»Sicher. Vielleicht habe ich sogar noch irgendwo eine Flasche Wein. Trinkst du Alkohol?«
»Hin und wieder ein Bier.«
Wir gehen hinüber in die Küche. »Wein ist besser, vor allem Rotwein. Magst du Fleisch?«
»Ich bin kein Vegetarier, wenn du das meinst. Warum fragst du?«
»Nur so«, antwortete ich. Er ist so niedlich, daß ich mich kaum beherrschen kann, ihn gleich jetzt und hier anzuknabbern.
Wir stehen in der Küche und trinken ein Glas Wein miteinander. Wir trinken auf den Frieden in der Welt. Ray will am liebsten gleich an die Arbeit gehen, sagt er. Ich erkenne, daß meine Gegenwart ihn nervös macht. Wenn ich allein mit einem Sterblichen bin, wird meine Andersartigkeit noch deutlicher. Ray spürt, daß er mit einer einzigartigen Frau zusammen ist, und er ist fasziniert und verwirrt zugleich.
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