Der blonde Vampir
oder sie liegen auf ihrem Schoß. Nur die Waffe der Frau ist fest auf mich gerichtet. Offensichtlich hat unsere Begleiterin die meiste Angst vor mir.
Wir sind einige Meilen gefahren. Die Leute im Wagen atmen langsamer, tiefer und gleichmäßiger. Alle beginnen sich zu entspannen – bis auf die Frau. Sie glauben, daß der schwierigste Teil hinter ihnen liegt.
Unauffällig untersuche ich die Handschellen. Das Metall ist unglaublich stabil. Ich bin nicht in der Lage, sie zu öffnen. Was nicht bedeutet, daß ich mir nicht helfen könnte. Sogar gefesselt, wie ich jetzt bin, kann ich schneller hüpfen, als ein Mensch läuft. Ich könnte mir eine der Automatikwaffen von einem der Männer in der Limousine schnappen und ein paar meiner Begleiter erschießen, noch bevor sie es schaffen, überhaupt zu reagieren. Wahrscheinlich wäre die Frau diejenige, die als erste einen Schuß auf mich abgeben würde. Bei alledem dürfte ich natürlich nicht den Wagen vergessen, der in geringem Abstand hinter uns fährt. Was die Entführer damit beabsichtigen, ist ziemlich klar. Wenn die Leute hinter uns sehen, daß ich meine Mitfahrer angreife, werden sie das Feuer eröffnen, ohne zu zögern. Alle in der ersten Limousine würden sterben – auch ich. Der zweite Wagen folgt uns also aus gutem Grund.
Ich muß mir etwas anderes einfallen lassen.
Ich lasse eine halbe Stunde verstreichen. Dann räuspere ich mich.
»Slim, ich muß auf die Toilette.«
»Tut mir leid. Das geht nicht«, sagt er.
»Ich muß ganz dringend. Ich habe eine ganze Flasche Coke geleert, bevor ich vorhin losgefahren bin.«
»Daran kann ich nichts ändern. Wir halten jedenfalls nicht an.«
»Ich werde auf den Sitz pinkeln. Und Sie werden drin sitzen müssen.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
»Darauf können Sie sich verlassen.«
Er antwortet nicht darauf. Wir legen weitere Meilen zurück. Da Slim derjenige war, der die Handschellen bei sich hatte, kann ich wohl davon ausgehen, daß er auch im Besitz der Schlüssel ist.
Die Frau, die neben mir sitzt, ändert ihre Position, das höre ich am Rascheln ihrer Kleider. Wahrscheinlich beginnt ihr Arm, mit dem sie die Waffe auf mich richtet, langsam zu ermüden.
Ich schätze unsere Geschwindigkeit auf etwa sechzig Meilen pro Stunde. Mittlerweile befinden wir uns etwa fünfzig Meilen südlich von Water Cove. Wir nähern uns mehr und mehr dem Ort Seaside, das höre ich an den Geräuschen: Ich erkenne die beiden rund um die Uhr geöffneten Tankstellen und den ebenfalls offenen Imbiß.
»Slim«, sage ich.
»Was?«
»Ich muß nicht nur pinkeln – da ist noch etwas.«
»Und was?«
»Ich habe meine Tage. Ich muß wirklich dringend aufs Klo. Es dauert höchstens zwei Minuten. Sie und Ihre Freundin können mich ruhig begleiten, wenn Sie wollen. Meinetwegen richten Sie ruhig Ihre Waffe auf mich, wenn Ihnen das sicherer ist. Wenn wir nicht anhalten, gibt es eine ziemliche Ferkelei, dafür garantiere ich.«
»Wir halten nicht an.«
Meine Stimme wird lauter. »Aber das ist doch lächerlich. Ich bin an Händen und Füßen mit Handschellen gefesselt. Und Sie beide sind bewaffnet. Ich will ja nur für zwei Minuten auf die Toilette. Um Himmels willen, was sind Sie nur für ein Mensch? Sind Sie so pervers, daß Sie auf Pisse und Blut stehen?«
Slim überlegt. Ich höre, wie er sich vorbeugt und die Frau ansieht. »Was meinst du?« fragt er.
»Es ist uns nicht erlaubt, aus irgendeinem Grund anzuhalten«, erwidert sie.
»Ja, zum Teufel«, murmelt er, und dann höre ich, daß meine Suggestion bei ihm gewirkt hat: »Was soll sie schon anstellen?«
»Wir dürfen sie keine Sekunde aus den Augen lassen.« Die Frau bleibt hartnäckig.
»Ich habe schon gesagt, daß Sie beide mich auf die Toilette begleiten können«, mische ich mich ein.
»Das wollen Sie uns freundlicherweise also erlauben?« fragt die Frau zynisch. Ihr Tonfall läßt keinen Zweifel zu: Sie ist aus Deutschland – dem östlichen Teil. Ich hoffe sehr, daß sie mich aufs Klo begleitet, denn ich habe eine Überraschung für sie. »Ich habe keine Binden dabei«, erklärt sie.
»Ich komme auch mit etwas anderem zurecht«, sage ich sanft.
»Es ist deine Entscheidung.« Die Frau wendet sich wieder Slim zu.
Er zögert, und ich weiß, daß er mich jetzt ansieht. Dann trifft er die Entscheidung. »Zum Teufel, ruf die anderen an. Sag ihnen, daß wir an der ersten Tankstelle halten.«
»Das wird ihnen nicht gefallen«, sagt einer der Männer vorne.
»Sag ihnen, daß sie sich an mich wenden
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