Der Blumenkrieg
sein konnte, war er das auch. Seiner Beute so nahe zu sein, sie fast zu berühren, aber nicht zustoßen und zupacken und seinen brennenden Auftrag vollenden zu können, hatte den Irrha mit einer Empfindung erfüllt, die er schon lange nicht mehr erlebt hatte, länger, als er sich zurückerinnern konnte. Doch eines wußte der Jäger genau: Die Empfindung gefiel ihm gar nicht.
Näher, näher … da. Er hatte sein Ziel genau angepeilt. Jetzt mußte er nur noch die letzte hauchfeine Membran durchstoßen und sich verkörpern, sich einem Wesen einleiben, das sich auf dieser Ebene bewegen konnte, bevor die Beute abermals entschlüpfte. Am letzten Ort hatte er eine schlechte Wahl getroffen, indem er sich erst damit abgemüht hatte, den lebenden Körpereigner zu vertreiben, nur um hinterher zu entdecken, daß die Fleischeshülle stark beschädigt war und er wertvolle Zeit damit verbringen mußte, die defekten Stellen mit Teilen anderer plärrender, warmer Fleischwesen auszubessern. Die Beute war hier so nahe, praktisch in Reichweite – der Jäger durfte sich nicht noch einmal von einem solchen Widerstand oder einer solchen Mangelhaftigkeit aufhalten lassen.
Er setzte zum Sturzflug an, kam näher und näher. Soviel verwirrendes Leben hier, ungewohnt für Sinne, die sich in den Abgründen der tiefsten, gänzlich licht- und wärmelosen Weltraumozeane geschärft hatten. Doch der Irrha war die Entschlossenheit selbst. Er fand, wonach er suchte, und um sogleich davon Besitz zu ergreifen, barst er hinaus in eine vor Betriebsamkeit explodierende Sphäre der Lichter und Farben und Töne.
C ornelia Schafgarbe besah sich ihre Einkäufe: ein Spielflugzeug, angetrieben von einem einfachen, aber lange anhaltenden Zauber, ein Goblinpüppchen in der traditionellen Tracht mit Federn, Perlen und Drachenflügelumhang, nicht zu vergessen eine Kollektion von Sportfähnchen mit den Abzeichen führender Adelshäuser, Tücher mit Schmetterlingsmustern, die derzeit von allen modebewußten Damen und Herren in der Stadt getragen wurden, wie Freundinnen ihr versichert hatten, und noch viele andere Kinkerlitzchen. Sie hatte für einige wahrscheinlich ein bißchen mehr ausgegeben, als sie hätte sollen, aber die Hauptsache war, daß ihr Zug zurück nach Weide in einer halben Stunde fahren sollte und sie bereits für alle auf ihrer Liste Geschenke gekauft hatte, für ihre Nichte und die vielen Großnichten und Großneffen. In ihrem kleinen Walddorf hielten ihre Verwandten Schattenhof für beinahe so groß wie die Stadt selbst; sie wären furchtbar enttäuscht gewesen, wenn Tante Cornelia von ihrem Ausflug zum Dreihundertjahrestreffen ihrer Klasse am Mädcheninternat Geißblatt keine Geschenke mitgebracht hätte.
Bei dem Gedanken an ihre Großnichten, von denen eine nächstes Jahr nach Geißblatt kommen sollte, fühlte sie sich auf einmal alt. Konnte es wirklich schon dreihundert Jahre her sein, daß sie als Schülerin durch diese hallenden Korridore gegangen war? Manchmal kam es ihr vor, als läge das alles erst wenige Jahre zurück.
Während sie die Pakete in ihren Räderkorb zurückstellte, konnte sie nicht umhin zu bemerken, daß der unangenehme Geruch links von ihr schlimmer geworden war. Sie betrachtete den schlafenden Mann am anderen Bankende. Er war gut gekleidet, aber bei diesen Leuten aus der Oberschicht wußte man nie, schon gar nicht bei den jungen. Zweifellos hatte er feuchtfröhlich die Nacht durchgemacht. Trotzdem roch er nicht betrunken, er roch … unsauber.
Der Kopf des Fremden drehte sich ihr zu, und die Augen klappten auf. Cornelia Schafgarbe konnte einen leisen Überraschungslaut nicht unterdrücken. Mit den Augen des Blumenedlen stimmte etwas nicht – sie blickten leer und stumpf, beinahe blind.
Der Mund bewegte sich. Als er schließlich etwas herausbrachte, hörte sich der junge Adelige an, als ob er sich vorher noch nie der Sprache bedient hätte, schon gar nicht der gepflegten Ausdrucksweise, die sein Stand verlangte.
»Wo …?«
»Wie bitte?«
»Wo … ist …?« Der leer blickende Mann schüttelte den Kopf, als ob ihn die Anstrengung des Sprechens überforderte, dann stand er auf. Eine unappetitliche Masse rutschte ihm vom Schoß und klatschte mit einem feuchten Plumps auf den Fliesenboden des Bahnhofs.
Das ist der Gipfel der Taktlosigkeit, dachte Frau Schafgarbe, jetzt hat er seine Brotzeit auf den Boden fallen lassen. Was für Manieren bringt man diesen jungen Leuten eigentlich heute bei …? Doch als sie
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