Der Blumenkrieg
wirf einen in einen ruhigen Teich, wo Kraniche und Krokodile schlafen, und es wird sich etwas verändern.« Der Junge richtete seinen durchdringenden, braunäugigen Blick auf den Beseitiger lästiger Hindernisse. »Du solltest das wissen.«
»Ich weiß es. Aber du drückst es sehr schön aus.«
»Danke. Mein Stiefvater hat große Opfer gebracht, damit ich eine gute Ausbildung bekomme.«
Der Beseitiger nickte. »Wir wollen hoffen, daß die Opfer nicht zu groß waren.«
Ein Schweigen trat ein. Nieswurz brach es nicht, doch er stand auf und winkte. Die zweite Schwester kam mit weichen, hellen Kleidungsstücken herbei, und gemeinsam begannen die beiden Dienerinnen, den Jungen anzuziehen. »Komm«, sagte der Fürst zum Beseitiger. »Ich habe veranlaßt, daß der Wagen auf dich wartet.«
»Grüß Stiefmutter von mir«, sagte der Junge und lächelte abermals.
Nieswurz knurrte, als wäre er zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um etwas zu erwidern. Er schaute nicht zurück und sagte kein Wort mehr, bis er und sein Gast aus dem dampfigen Raum heraus waren und den Flur hinuntergingen, wo die Luft mit jedem Schritt kühler wurde.
»Alles, was je über die Schaffung eines Schrecklichen Kindes geschrieben wurde, ist wahr«, sagte Nieswurz versonnen. »Er ist ein Greuel.«
Der Beseitiger nickte. »Dann hast du bekommen, was du haben wolltest, mein Fürst, nicht wahr?«
18
Die Straßen von Neu-Erewhon
D u mußt es ihr sagen, Theo. Das weißt du ganz genau.«
Es widerstrebte ihm ganz entschieden. Viel lieber schaute er aus dem Fenster auf die nächtlichen Straßen hinaus. Sie überstieg sein Vorstellungsvermögen, diese fremde Stadt aus mattierter Bronze und Jade und glänzendem schwarzen Glas, selbst hier in den Randbezirken, wo die himmelragenden Hochhäuser noch Meilen entfernt waren.
Johnny Battistini war einmal als Ersatzdrummer für eine nicht mehr ganz jugendfrische Metalband – »Ich mußte eine Perücke aufsetzen, Theo, ohne Scheiß, ich hab ausgesehen wie Phyllis Diller!« – für einen einmaligen Auftritt nach Japan gefahren, ein Ereignis, über das er noch Jahre danach geredet hatte. Damals war Theo genervt gewesen von Johnnys Unfähigkeit, Tokio zu beschreiben und ihm zu erklären, warum die Stadt einen solchen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Obwohl er häufig nach der Probe von Grasrauch umnebelt in Erinnerungen daran schwelgte, konnte er seine Begeisterung nie in klarere Worte fassen als: »Es war einfach … irre. Es ist irgendwie eine normale Stadt, und dann ist sie doch völlig anders und überhaupt. Aber für die Japsen ist sie gar nicht anders. Und das ist das wirklich Irre daran!«
Langsam bin ich soweit, daß ich dich verstehe. Johnboy.
Theo verspürte ein scharfes, stechendes Heimweh, als ob ein immaterielles Duplikat des Dolches, der Rainfarns Halbneffen getötet hatte, ihn aufgeschlitzt und gegen die Fremdartigkeit dieser neuen Umgebung wehrlos gemacht hätte. Zum erstenmal in seinem Leben vermißte er Johnny B. wirklich. Der Drummer hätte das ganze Abenteuer in dem Satz: »Wow, ist ja total geil hier!« zusammengefaßt und es damit verdaubar gemacht.
Abgesehen von der bizarren Vielfalt von Wesen, die genauso ihrem Leben nachgingen wie normale Leute in Theos Welt, war schwer zu sagen, was an der Stadt so vollkommen anders war. Die Gebäude waren zwar im Vergleich zu denen daheim ein bißchen seltsam geformt und verziert, bewegten sich aber doch im Rahmen des Faßlichen: Die Verbindungsstege zwischen den Gebäuden mochten noch so hauchzart und die schimmernden Steinfassaden noch so kristallartig sein, die Konstruktionen im allgemeinen schienen denen in der Menschenwelt zumindest ähnlich zu sein: Feen und andere Elfen mochten fliegen, aber die Gebäude sahen im großen und ganzen von derlei Eskapaden ab. Die künstliche Beleuchtung der Stadt war natürlich anders, aber das hatte er schon von weitem gesehen und sah es jetzt nur noch einmal aus der Nähe. Die Limousine hatte ein großes dunkles Industriegebiet am Stadtrand hinter sich gelassen und rollte gerade durch ein Netz belebter Straßen voller Geschäfte, Theater, Kneipen und Restaurants, viele anscheinend für das Erntefest mit stilisierten Monden und Äpfeln geschmückt, alle mit bunten Leuchtreklamen, doch diese Arrangements flimmernder Röhren und Birnen wirkten gedämpft und schummerig, so als ob selbst die grellsten, knalligsten Scheinwerfer mit hellgrünen, silbernen und grauen Schleiern verhängt worden wären.
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