Der Blumenkrieg
sicher.« Er nickte nachdrücklich. »Sicher.«
»Wir müssen«, drängte Apfelgriebs, die geräuschvoll neben Theos Ohr schwirrte.
»Danke schön.« Theo nahm den Zettel, warf einen Blick darauf und schloß dann die Hand darum. »Sehr freundlich.«
»Wir warten alle auf der Hügelkuppe.« Der Goblin nickte wieder – langsam und nur ein einziges Mal, so daß es fast segnend wirkte. »Und wir warten alle darauf, daß der Wind sich dreht.«
Noch an den letzten beiden Bemerkungen kauend stieg Theo hinter Apfelgriebs aus. »Was hatte das denn zu bedeuten?«
»Wer weiß? Irgend so ein Kult – Goblins fahren auf diesen ganzen Mumpitz ab.«
Theo besah sich den Papierschnipsel. Darauf stand in erstaunlich sauberer Handschrift »Unter der alten Wunderwehrbrücke.« Er zeigte ihn Apfelgriebs.
»Kein Kult in der besten Wohngegend«, war alles, was sie dazu bemerkte.
Er wollte den Zettel schon zerknüllen und wegwerfen, als ihm zu Bewußtsein kam, was und wo er war: mittel- und obdachlos in einer fremden Stadt in einem unbekannten Land. Ich kann es mir nicht leisten, irgend etwas wegzuwerfen, sagte er sich. Kann sein, daß ich jemandem was aufschreiben muß und kein Papier habe. Einen Abschiedsgruß vor dem Selbstmord vielleicht … Also faltete er ihn zusammen und steckte ihn in seine Hemdinnentasche.
»Hier ist es«, sagte Apfelgriebs, als sie um die nächste Ecke bogen. »Die Obstblütenwabe.«
Seine erste Assoziation war nicht, wie erwartet, ein Termitenbau, sondern eine senkrecht gekippte Wiese voller Glühwürmchen. Die Luft in der kleinen Seitenstraße war ein einziges Gefunkel und Geflirre von fliegenden Lichtern in Graugrün, Rosa, Gelb und Hellblau, das wie ein radioaktives Schneegestöber aussah. Einige der leuchtenden Gestalten standen auf den winzigen Baikonen, die in langen Zeilen die ganze Straße säumten, doch die meisten der schimmernden Pünktchen waren dabei, durch die Hunderte von Türen ein- und auszufliegen.
»Was sind das alles für Lichter?«
»Feen«, antwortete Apfelgriebs. »Außerdem noch ein paar Pitzel, Hinkepanks und Tückbolde, aber die Fliegenden sind alle Feen. Wieso, was hast du gedacht?«
»Aber … aber du leuchtest doch nicht im Dunkeln.«
»Keine Lust zu. Komm jetzt, du.« Sie zupfte ihn am Ohr und flog wieder voraus.
Theo holte tief Luft und folgte ihr. Helle Gestalten schossen bei jedem Schritt an ihm vorbei, und obwohl viele davon in der Tat winzige Persönchen waren, die so menschlich wie Apfelgriebs aussahen, hatte er eher das Gefühl, durch einen Hagel von Leuchtspurgeschossen zu gehen: Für jedes selbstleuchtende Flügelwesen zischten in der abendlichen Dunkelheit mindestens fünf andere ohne Licht umher, die sich ihm nur durch ihren Luftzug, ein gelegentliches Flügelstreifen über seine Haare oder in wenigen Fällen ein Stimmchen, das etwas Unverständliches rief, bemerkbar machten. Überhaupt konnte er jetzt, wo er den Verkehrslärm auf den größeren Straßen hinter sich gelassen hatte, überall ringsherum die hohen Plapper- und Lachtöne der Bewohner hören, die sich beim Wäscheaufhängen oder gemütlichen Draußensitzen Bemerkungen zuriefen oder von Balkon zu Balkon miteinander schwatzten. Der Vergleich mit der Glühwürmchenkolonie hinkte zusehends; mit dem ganzen Surren und Sausen und den kaum vernehmbaren Stimmen im Hintergrund erschien die Gasse, in der die Obstblütenwabe lag, eher wie eine von redenden Fledermäusen bewohnte Höhle.
Die Wohnanlage erstreckte sich über eine ganze Wand, in der Theo erst nach einer Weile die Rückseite eines anderen, normal großen Gebäudes erkannte. Die Wabe, die ungefähr in der Höhe seiner Knie anfing und mehrere Meter über seinen Kopf hinausragte, war ein Mittelding zwischen einem Mietshochhaus und einem Taubenschlag: Reihe um Reihe aneinandergefügter kastenförmiger Wohneinheiten, so daß es fast so aussah, als ob jemand die Wand mit hölzernen Postfächern verkleidet und in jedes kleine Vogelhaustüren geschnitten hätte. Die meisten Wohnungen hatten Balkone, auch wenn einige davon kaum mehr als direkt unter dem Eingang angebrachte Obstkörbchen zu sein schienen.
Theos Assoziation eines wimmelnden, unpersönlichen Insektennestes hielt sich nicht lange: Die Bewohner hatten sich sichtlich Mühe gegeben, jedem Heim einen individuellen Stempel aufzudrücken. Viele der Obstkorbbalkone waren mit Topfpflanzen, Rauschgoldgirlanden oder Stoffbändern und anderen Dingen geschmückt, und in den meisten der kleinen
Weitere Kostenlose Bücher