Der Blumenkrieg
Kopfkissen nichts einzuwenden wäre.
Es hatte keinen Zweck, sich etwas vorzumachen. Auch wenn das ganze Drumherum einen noch so normalen Eindruck machte, er war an einem mehr als absonderlichen Ort gelandet. Irgendwelche Leute, ach was, nicht einmal Leute, Dinge versuchten ihn umzubringen. Er kannte die Regeln nicht. Das einzige ihm freundlich gesonnene Wesen war so groß wie ein Filzstift.
Er holte Onkel Eamonns Buch aus seiner Jackentasche. Genau wie die Lederjacke sah das Notizbuch einigermaßen mitgenommen aus, vom Draufsitzen zerknittert, hier und da wasserfleckig. Seiner Meinung nach war das Buch der Grund dafür, daß er aus seiner Welt verschleppt worden war, aber bis jetzt hatte niemand es sehen wollen oder auch nur danach gefragt, obwohl er es Fürstin Ämilia und Wuschel Segge gegenüber erwähnt hatte, um nur zwei Leute hier in der Narzissen-Residenz zu nennen.
Theo hatte immer noch keinen wirklichen Begriff davon, wie diese Welt hier beschaffen war, und er fragte sich, ob eine erneute Lektüre des Notizbuches ihm Aufschlüsse geben könnte. Es gab Sachen darin, die er beim ersten Lesen für Erfindung gehalten und daher kaum beachtet hatte – wer hätte sich den anderen Fall schon vorstellen können?
Es ist, als hätte mir jemand ein Handbuch der Löwenbändigung zu lesen gegeben, aber mich nicht darüber informiert, daß man mich mit Bratensoße einreiben und mit dem Fallschirm über dem afrikanischen Veld abwerfen würde.
Aber das ärgerliche war, daß das Buch eben keine Anleitung darstellte. Es gab keine praktische Wörterliste, kein Verzeichnis der Personen und Sachen, keine Erläuterung elfischer Umgangsformen. Es war eine Geschichte aus der Feder eines Besuchers, der es anscheinend vollkommen der Willkür und dem Zufall überlassen hatte, welche Themen er näher ausführte.
Theo stöberte durch das Notizbuch, überschlug die frühen autobiographischen Kapitel. Er war sich nicht ganz sicher, wonach er suchte, doch in den wenigen Tagen, seit er übergewechselt oder hindurchgegangen war oder wie zum Teufel man es sonst nennen sollte, war er immer mehr zu der Überzeugung gelangt, daß er nicht wußte, was hier ablief. All seiner Merkwürdigkeit zum Trotz hatte der Ritterspornsche Wald, in den er zuerst geraten war, seinen Erwartungen, wie das Elfenland aussehen mußte, wenigstens ungefähr entsprochen. Jetzt war klar, daß dieser Wald lediglich so etwas wie ein privates Wildgehege gewesen war, der Park, der den Landsitz einer reichen Sippe umgab. Das wirkliche Elfenland war hier, hier in dieser riesigen Stadt – zumindest schien der Großteil der Bevölkerung hier zu wohnen. Gleichzeitig sah es so aus, als ob ihre absurde Modernität auch die bekannten Folgeerscheinungen auf anderen Gebieten mit sich brächte wie Klassenkampf, Macht der Reichen, Vorherrschaft der Technik.
Ein Wort, an das er sich düster aus dem Sozialkundeunterricht in der Schule erinnerte, fiel ihm ins Auge, und er las genauer hin.
Obwohl es in Elfien von jeher mächtige Familien gegeben hat, ist die heutige Oligarchie nach meinen Erkenntnissen erst vor ungefähr zweihundert Jahren ihrer Zeit durch einen radikalen Umbruch entstanden – wobei die Datierung vage ist, weil die Zeit in Elfien eine unsichere Sache ist, die zudem durch Vergleiche mit unserer Welt noch unsicherer wird.
Elfien war einst eine echte Monarchie, regiert (wie auch von menschlicher Dichtung und Sage beschrieben) von einem König und einer Königin. Shakespeare nennt die beiden Oberon und Titania, doch sie haben noch viele andere Namen wie zum Beispiel Gwynn ap Nudd und Maeve oder Mab. Tatsächlich scheinen sie vielnamig und namenlos zugleich zu sein, weil sie seit Elfengedenken so ziemlich das einzige Herrscherpaar waren, genau wie mein Neu-Erewhon in ganz Elfien nur »die Stadt« genannt wird, da es keine anderen Städte gibt, nur Märkte und Dörfer.
Zur Zeit des letzten Riesenkrieges jedenfalls, eines Krieges zwischen dem Elfenvolk von Neu-Erewhon und dem Riesengeschlecht (über dessen Ursprung und Wohnsitz niemand mehr zu sagen weiß, als daß es aus dem »Riesenland« stammt), ereilte ein ungewisses Schicksal den König und die Königin. Nach der landläufigen Meinung wurden sie von den Riesen getötet, doch ich habe andere Darstellungen gehört, wonach die beiden in einer letzten großen Kraftanstrengung starben, mit der sie die Stadt retteten und die schrecklichen Feinde besiegten. Es gibt ein Lied davon, wie gepanzerte Riesen brennend und
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