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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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unterschätzte sie die Kraft ihrer eigenen Beschwörung: Sie kam gar nicht auf den Gedanken, daß sie von niemandem gesehen oder sonstwie wahrgenommen wurde, daß der Zauber noch seine Wirkung tat.
    Selbst ohne die totale Finsternis hätte sie an der Leichtigkeit, mit der die Tür bei einem minimalen Schubs aufschwang, gemerkt, daß im Haus keine Kraft floß. Die Eingänge zum privaten Teil des Stechapfelturmes waren alle dermaßen kreuz und quer mit Zaubern überzogen, daß unter normalen Umständen selbst eine große Kutsche davon abgeprallt wäre, gesetzt, diese hätte einen Weg gefunden, in den fünfundzwanzigsten Stock zu gelangen. Jetzt aber öffnete sich die Tür vor ihr wie die Arme eines Geliebten, sie brauchte nicht einmal ihren geheimen Hausnamen zu hauchen. Im fahlgrünen Schein der Notfallspukfeuer sah sie den langen Korridor vor sich, aber sonst kaum etwas. Irgendwie wirkte er fremd, aber andererseits war es natürlich, daß bei einem Störfall alles fremd wirkte, und so wanderten ihre Gedanken zur Tür zurück.
    Nein, wir sind nicht nur Gefangene, wir sind Sklaven unserer eigenen Selbstherrlichkeit. Denn wenn die Kraft weg ist, kann jeder hier einfach hereinspazieren und machen, was er will. Die Arroganz der Macht! dachte sie. Nicht einmal ein Schloß an der Tür.
    Erst als nach der Hälfte des Korridors plötzlich die ungewöhnlich hochgewachsene Gestalt von Fürst Nieswurz im Licht eines selbstfabrizierten Spukfeuers vor ihr aus einer Tür trat, begriff sie ihren Irrtum. Sie war auf der Büroetage, nicht im Wohnteil. Sie unterdrückte einen Schreckensquietscher beim Anblick des dunkelhaarigen, finster blickenden Mannes, der im trüben Feuerschein leichenblaß aussah, und dann gleich den nächsten, als er an ihr vorbeiging.
    Ich habe immer noch den Zauber um mich!
    Er stutzte und blieb stehen, das schmale Gesicht erhoben, als witterte er etwas, und ihr war klar, daß sie sich zu erkennen geben sollte – es war unhöflich, unsichtbar zu sein, selbst im eigenen Hause –, aber etwas in seinem harten Gesicht würgte ihr das Eingeständnis so gründlich ab wie eine Hand um die Kehle. Nidrus Nieswurz schüttelte kurz den Kopf, weniger ein Ausdruck seiner Verwirrung als der Schärfung seiner raubtierhaften Wachsamkeit, und schritt dann zum Fenster am Ende des Ganges. Als er sich umdrehte und zurückkam, preßte Poppi sich an die Wand und hielt den Atem an, obwohl sie nicht hätte sagen können, warum. Selbst wenn er sie ertappte, wurde sie doch sicher schlimmstenfalls ausgeschimpft. Sie war bei sich zu Hause. Sie hatte es nicht absichtlich getan.
    »Was ist los?« Jetzt erschien auch Fürst Fingerhut, Landers Vater, im Flur. »Werden wir angegriffen?«
    Die Verachtung in Nieswurz’ Stimme war unüberhörbar. »Wenn ja, dann hat jemand ein Drittel der Stadt angegriffen. Nein, du Jammerlappen, es ist bloß wieder einer von diesen Störfällen.«
    Der Schein von Fingerhuts Spukfeuer schrumpfte ein wenig, als ob er eine Ohrfeige bekommen hätte. »Es ist nur … die Angelegenheit, die wir gerade bereden … sie macht mich …«
    »Wenn du sagen willst, daß sie dich zu einem Feigling macht, dann kannst du dir das sparen. Das merke ich.« Nieswurz wandte den Kopf hin und her. »Aber es kommt mir in der Tat so vor, als ob hier jemand gewesen wäre. Vor gar nicht so langer Zeit.«
    Fingerhut schien gar nicht zuzuhören. »Es muß … ich weiß nicht … es muß doch noch eine andere Art geben, diese …«
    »Was macht ihr beiden da draußen?« rief eine dritte Stimme – Poppis Vater. »Kommt rein und macht die Tür zu. Der Heinzel wird sich darum kümmern.«
    »Wir kommen schon, Aulus.« Nieswurz sagte es mit lauter, jovialer Stimme, dann fuhr er sofort wieder zu Fürst Fingerhut herum wie eine Giftschlange. »Du bist wirklich ein Jammerlappen«, sagte er gerade laut genug, daß Poppi es hören konnte. »Ich hätte an deiner Stelle Eisenhut hinzuziehen sollen. Er mag zwar verrückt sein, aber er hat wenigstens Mumm in den Knochen. Wer braucht schon deine lächerliche koextensive Fraktion? Bald wird das alles belanglos sein. Schau zum Fenster hinaus! Meilenweit alles schwarz. Keine Kraft. Alles zerfällt, und du weißt ganz genau, daß es nicht besser werden wird. Die Frage ist Machst du mit oder nicht? Dies ist die Zeit, große Entscheidungen zu fällen und, jawohl, Risiken einzugehen. Was sage ich? Wir haben schon alles riskiert, Stechapfel und ich. Wenn du meinst, du könntest dich jetzt einfach aus der

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