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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Gott.« Er konnte ihre furchtbare Ruhe nicht fassen. »Willst du damit sagen, daß es keine Heilung gibt?«
    Wieder zuckte sie die Achseln. »Es gibt mitunter – wie nennen sie das? – Remissionen. Mit Chemotherapie und dem ganzen Kram bleiben die Leute manchmal etwas länger am Leben. Der Normalfall ist das nicht.«
    Es war ihm unbegreiflich, wie sie hier sitzen und über den Tod reden konnte, ihren eigenen Tod, als ob es um die Garantie für ein Haushaltsgerät ginge. »Doch es gibt eine Chance, stimmt’s?«
    »Es gibt immer eine Chance, Theo.« Sie mußte nicht aussprechen, was in ihrer Stimme lag. Aber wahrscheinlich nicht für mich.
    »Hast du … lieber Himmel, hast du schon die ganze Zeit starke Schmerzen, Mama?«
    Sie dachte nach, bevor sie antwortete. Sie hatte es nicht eilig. Ihm wurde auf einmal klar, wie sich zumindest dieser Aspekt anfühlen mußte: Es hatte keinen Sinn mehr, sich mit irgend etwas beeilen zu wollen. »Erst seit einer Weile. Am Anfang war es nicht so schlimm. Ich dachte, es wäre bloß Muskelziehen – mein Rücken, weißt du. Manchmal kriege ich das, wenn ich Sachen hebe, die Möbel rücke, um Staub zu saugen.«
    Wieder regten sich Schuldgefühle – nein, eher der nackte Jammer – bei dem Gedanken, daß seine Mutter schwere Sofas versetzte, damit sie in einem Haus, das bis auf ihn und sie leer war, Staub saugen konnte. Aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Er hätte am liebsten über die Grausigkeit der Situation laut gelacht, doch selbst bei dem distanzierten Verhalten seiner Mutter kam ihm das nicht richtig vor. Er hatte das Gefühl, sie würde es besser finden, wenn er weinte. Er schaute sich in dem leeren Haus um, schaute auf die sauberen Teppiche und die schlichten Möbel, auf die kleine dunkelhaarige Frau, die vor ihm im Sessel saß, und versuchte, sich eine sinnvolle Bemerkung einfallen zu lassen.
    »Mein Appetit hat auch stark nachgelassen«, sagte sie unvermittelt. »Aber ich habe ohnehin nie viel gegessen. Nicht wie dein Vater. Der hatte immer eine Dose Nüsse neben sich oder so was in der Art …« Sie brach so plötzlich ab, wie sie angefangen hatte, am Ende des Gedankens angelangt.
    »Hättest du … hättest du Lust, mit mir auszugehen? Heute abend? Im Kennel Club spielt eine irische Band. Sie soll gut sein – richtige irische Musik, alles akustische Instrumente.«
    Sie lächelte tatsächlich, und weil es ein echtes Lächeln war, sah er ihr zum erstenmal den Schmerz und die Müdigkeit an. »Das wäre schön, Theo. Ja, gehen wir aus.«
     

     
    D anach begann der Verfall. Die Sache mit Cat und dem Baby war so plötzlich passiert, daß er es wie einen brutalen Überfall empfunden hatte: Eben noch gehst du die Straße hinunter und überlegst dir, was es zum Abendessen geben mag, im nächsten Moment liegst du im Rinnstein und weißt nicht, ob du die Kraft hast, irgendwohin zu kriechen, wo dich jemand findet. Seine Mutter sterben zu sehen war etwas vollkommen anderes, ungefähr wie ein furchtbarer Unfall in Zeitlupe, der sich hinzog und hinzog und kein Ende nehmen wollte. Aber das Ende war natürlich unvermeidlich.
    Sie sprachen eine andere Sprache im Reich der Toten, mußte er erfahren. Schon bei Cats Fehlgeburt war ihm der medizinische Jargon kryptisch erschienen, doch da hatte er von den Steigerungsmöglichkeiten offensichtlich noch keine Ahnung gehabt. Zunächst einmal war es nicht einfach Krebs oder ein Tumor, womit sie es zu tun hatten, es waren Adenokarzinome. Sie untersuchten seine Mutter nicht, sie nahmen an ihr laparoskopisches Staging oder endoskopische retrograde Cholangiopankreatographie vor – das letzte Wort paßte nicht einmal auf ein Scrabblebrett. Und es schien keine nachvollziehbaren Behandlungen zu geben, nur Mysterien, auf die selbst druidische Priester stolz gewesen wären, Sachen wie Gemcitabin oder Fluorouracil, palliativen Bypass oder gar chemische Splanchnikektomie. Manchmal hob sich der Rauch, der Vorhang teilte sich, und jemand in einem weißen Kittel steckte den Kopf heraus und hauchte »perkutane radiologische Gallengangprothese«, bevor er wieder verschwand. Es war, als ob jemand ein Loch in Theos Leben gebohrt hätte – in seines und das seiner Mutter, aber sie driftete jeden Tag mehr in den Nebel ihrer Betäubungsmittel ab –, dann einen Lastwagen randvoll mit stacheligen griechisch-lateinischen Begriffen zurücksetzte und die ganze Ladung in einem gewaltigen Rutsch sinnloser und dennoch furchterregender Silben

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