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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ihn hörte.
    »Du hast deinen Termin schon am Morgen gehabt, weißt du nicht mehr?«
    Sie schüttelte den Kopf, doch nur andeutungsweise, als ob er ihr abfallen könnte, wenn sie ihn zu sehr bewegte. Sie hatte einen sehr schlechten Tag, das merkte er. »Nein, ich meine damit, es ist soweit, daß ich ganz ins Krankenhaus gehe.«
    Eine eisige Hand drückte seine Eingeweide zusammen. »Das ist nicht nötig, Mama. Wir kommen hier doch bestens zurecht, meinst du nicht?«
    Sie schloß die Augen. »Du hältst dich wacker, Theo. Du bist ein guter Sohn. Aber der Arzt ist derselben Meinung. Ich schaffe es nicht länger.«
    »Was schaffst du nicht länger?«
    »Meinen Teil zum jetzigen Arrangement beizutragen. Ich bin zu müde. Es tut zu weh. Ich will meine Ruhe haben.«
    »Aber die kannst du hier auch haben …«
    Sie gebot ihm mit erhobenen Fingern Schweigen. »Ich will nicht, daß du mich herumträgst, Theo. Ein paarmal hast du das schon machen müssen. Und ich will nicht, daß mein eigener Sohn mir den Hintern abputzt. Das könnte ich nicht ertragen. Es ist soweit.«
    »Aber …!«
    »Es ist soweit.«
     
    U nd damit begann die letzte, ungebremste Phase des Verfalls, ein Absturz in Tiefen, die auf ihre Art Dantes Höllenphantasien in nichts nachstanden. Doch am Ende wartete keine beseligende Gottesschau, das war für Theo trostlose Gewißheit. Keine leuchtende Stadt. Nur die endlosen weißen Korridore der Krankenhausstation.
    Sie ließ los, das fühlte er, floh davon wie ein Mond, der aus seiner bindenden Umlaufbahn gebrochen war und bald in den dunklen Tiefen des Weltraums verschwinden würde. Er brachte einen Teil jedes Tages an ihrer Seite zu, versuchte sich auf Bücher zu konzentrieren, die er schon monate- oder jahrelang hatte lesen wollen. Es hatte keinen Zweck, die ganze Zeit bei ihr zu sein, doch was sollte er sonst tun? Er traute sich nicht, wieder mit seinem Job anzufangen, denn mit seiner Abwesenheit, so kam es ihm vor, würde er das Schicksal herausfordern und den gefürchteten Telefonanruf wahrscheinlicher machen, als wenn er einfach im Haus sitzen blieb. Die anderen Bandmitglieder hatten seine in der Erregung ausgestoßenen Worte für bare Münze genommen und die Trennung offiziell besiegelt – John hatte ihm eine stockende, entschuldigende Mitteilung auf Band gesprochen, die deutlich genug gewesen war, ohne das Kind wirklich beim Namen zu nennen, und Theo hatte darauf verzichtet, ihn zurückzurufen. Ein mitfühlender Anruf eines gemeinsamen Freundes von ihm und Cat, eigentlich eher ein Bekannter als ein Freund, hatte ihn zudem ungebeten davon in Kenntnis gesetzt, daß Catherine einen Neuen hatte. Daraufhin legte er eine alte Smiths-Platte auf, wanderte von Zimmer zu Zimmer durch das Haus und suchte sich darauf zu besinnen, was man in so einer Situation zu empfinden hatte.
    Manchmal hatte Theo den Eindruck, daß auch er losließ, alle Bindungen kappte, seiner Mutter auf ihrem Absturz ins Nichts folgte. Nur weil er wußte, daß sie sonst niemand hatte, schaffte er es, die Verbindung zur Erde zu halten. Onkel Harold war in der Anfangsphase einmal zu Besuch gekommen, doch er war für aufmunternde Gespräche am Krankenbett noch weniger geeignet als Johnny Battistini, und Theo wußte, daß sie ihn nicht wiedersehen würden.
    Doch es gab auch noch gute Tage, an denen der Schmerz nicht gar so schlimm und ihr Gehirn von den Schmerzmitteln nicht gar so benebelt war. Er hätte sich gewünscht, ihr zur Ablenkung mehr Neues aus seinem Leben berichten zu können, aber er war so unergiebig wie ein Stein. Das schien jedoch nichts zu machen: Wenn ihr Zustand es zuließ, redete sie. Man hätte meinen können, daß der Krebs auf seiner Vernichtungsbahn auch eine Wand in ihr weggefressen hatte, die Sperre, die bis dahin alles normale Plaudern und Schwelgen in Erinnerungen verhindert hatte, so daß ihm erst, als sie krank wurde, aufging, wie fremd sie ihm war. Zuerst redete sie über Theo, über seine Kindheit, seine Schulzeit, seine unbändige Freude an Halloween und die Arbeit, die es gekostet hatte, ihm die Kostüme zu nähen, die er haben wollte, doch dann kam sie in zunehmendem Maße auch auf ihre Kindheit in Chicago zu sprechen. Sie erzählte ihm nie gehörte Geschichten über die irische Großfamilie, deren jüngstes Kind sie gewesen war, über die ganzen Tanten, Onkel, Basen, Vettern, Brüder und Schwestern, zu denen sie den Kontakt verloren hatte, als ihre Mutter etwas Unverzeihliches tat, unverzeihlich jedenfalls in

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