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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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urplötzlicher Scherbenregen ging auf den Bürgersteig nieder, als im ganzen Straßenzug die Fensterscheiben barsten, und ein Teil prasselte auf das Dach des Wartehäuschens. Die Leute um ihn herum lagen verletzt oder schreckensstarr auf dem Boden. Stracki klammerte sich an die wackelnde Wand des Häuschens, als der schwarze Riesenwurm in der Luft eine Kurve beschrieb, einmal mit den Flügeln schlug und sich wieder in die Höhe schlängelte. Gleich darauf sauste er gen Norden davon, nicht mehr in der Richtung des Straßenverlaufs. Er verschwand jedoch nicht: Stracki sah ihn aufsteigen und die Flügel noch weiter ausbreiten, so daß sie wie die Blütenblätter einer exotischen Treibhausblume aussahen, dann schoß ein gleißender Feuerstrahl aus seinem Maul nach unten auf ein Ziel, das Stracki nicht sehen konnte. Die Drachenflamme war so schmerzhaft hell, als ob ihm jemand mit einem brennenden Stock über die Augen gestrichen hätte, und zum erstenmal schrie Stracki Nessel auf, ließ seinen Halt los und plumpste wie ein nasser Sack auf den Bürgersteig.
    Selbst mit geblendeten und geschlossenen Augen sah er eine mächtige weiße Stichflamme, dann gab es ein Dröhnen wie einen langgezogenen Donnerschlag. Der Boden unter ihm hüpfte wie von einem Riesenhammer geschlagen, und Stracki kullerte auf den Bauch. Das kalte Pflaster am Gesicht war in dem Moment die einzige klare Empfindung – außer dem stechenden Umriß des Drachenfeuers, der sich immer noch innen auf seinen Lidern abzeichnete wie mit dem Rasiermesser geschnitten.
    »Die Drachen werden uns alle töten!« kreischte jemand. Immer mehr Leute überall auf der Straße fingen an zu schreien. Immer mehr Kutschen fuhren irgendwo auf.
    »Das war die Stockrosen-Residenz! Das Ungeheuer hat die Stockrosen-Residenz verbrannt!« brüllte jemand anders.
    »Sie werden uns alle töten!«
    »Es ist Krieg!«
    »Das ist das Ende, das Ende, das Ende …!«
    Stracki preßte die Wange auf den kalten Boden und hörte, wie der Wind aufblies. Er wollte sich an nichts mehr erinnern. Er wollte nicht.
     
    E r ging und ging, obwohl er nicht mehr wußte, warum. Es schneite, genau wie daheim in Hasel, was ihm irgendwie verkehrt vorkam, aber das änderte nichts an dem ununterbrochenen Gefiesel grauer und weißer Flocken überall. Sie tanzten in der Luft, strudelten ihm um die Füße, drangen ihm in Nase und Mund, so daß er kaum mehr atmen und vor lauter Tränen kaum mehr etwas sehen konnte. Sonderbarer Schnee. Auch die Straße war winterdunkel, doch Nacht war es nur an bestimmten Stellen, wo sich große tintenschwarze Wolken vor die Sonne geschoben hatten, zwischen denen aber hier und da blaugraue Fetzen Himmel hindurchlugten. Er verstand das alles nicht.
    Der Bus war nicht gekommen. Er wußte nicht mehr so recht, warum, aber alle anderen hatten vor ihm aufgegeben zu warten. Genauer gesagt, sie waren alle weggelaufen bis auf eine der Frauen, die ihre Flügel ausgebreitet und einen Flugversuch unternommen hatte, allerdings sehr ungeschickt, als ob sie nicht viel Übung darin hätte, und außerdem heftig weinend. Sie war unbeholfen durch das Schneegestöber geflogen, bis sie gegen eine Mauer geprallt und gestürzt und nicht wieder aufgestanden war.
    Eine große Elfe wie sie hatte Stracki schon lange nicht mehr fliegen sehen. Etwas sehr Schlimmes mußte sie aus der Fassung gebracht haben. Er hatte das Gefühl, daß er sich erinnern sollte, was dieses Etwas gewesen war – es schien wichtig zu sein –, doch er schaffte es nicht. Deshalb ging er jetzt vor sich hin, die besondere Tasche weiter fest umklammert. Er wollte nicht, daß seine Freunde sich beunruhigten. Er hoffte, er ging in die richtige Richtung. Drudenfußstraße? Er war sich ziemlich sicher, daß der Name stimmte, aber er hatte keine Ahnung, ob er noch auf dieser Straße ging. Er versuchte, Leute nach dem Weg zu fragen, doch die meisten, die er durch den grauen Schnee eilen sah und von denen sich einige gegen die fallenden Flocken Sachen über den Kopf hielten und andere sich Schals oder Hemden auf den Mund preßten, wollten nicht anhalten und Auskunft geben. Endlich fand er jemanden, einen kleinen, fein gekleideten Querz, der an einer Straßenecke stand und in eine Muschel sprach. Stracki fragte ihn, ob er in der Richtung den Bus zu den Kriegssteinen und zum Hafen bekomme.
    »Kriegssteine …?« Der kleine ockergelbe Mann steckte seine Muschel in die Tasche. Er lachte, aber er machte den Eindruck, gleich losweinen zu wollen. Sein

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