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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wie aufgeschreckte Fledermäuse in einem geschlossenen Raum.
    Ich werde hier sterben. Im Märchenland. Warum hatte er ruhig abgewartet? Warum hatte er Rainfarn nicht schon vorher durchschaut? Warum waren alle Elfen, die er kennengelernt hatte, so davon überzeugt gewesen, daß es keinen Krieg geben würde? Na, jetzt sind sie jedenfalls alle tot und kommen sich wahrscheinlich ziemlich dumm vor. Durch das ganze wirre Geflatter in seinem Kopf hindurch erkannte er, daß er sich an einem entscheidenden Umschlagspunkt befand, einem Knotenpunkt, an dem alle bisherigen Ereignisse als zurückverlaufende Stränge erschienen. Er konnte nur hoffen – allerdings nicht recht glauben –, daß es auch weiterführende Stränge gab.
    Wenn ich nicht sterbe.
    Trotz des Staubs und Gerölls, unter dem er begraben war, und des Knarrens verzogener Balken, das sich anhörte wie ein Schiff im Sturm, begriff er doch nach und nach, daß er bis zu seinem eventuellen Tod noch eine kürzere oder längere Weile zu leben hatte. Nicht sein Stockwerk, sondern das zweite darüber war von dem furchtbaren geflügelten Schatten zu Asche verbrannt worden. Deckenbrocken waren auf ihn gestürzt, hatten ihn aber nicht zermalmt, denn als er es versuchte, konnte er seine Füße bewegen, seine Zehen beugen. Aber er konnte nicht darauf vertrauen, daß dieser Zustand lange anhalten würde. Aus der Hölle, die über ihm angerichtet worden war, drang bereits Rauch nach unten – und der unheimliche Geruch unbekannter brennender Dinge biß ihm in der Nase. Schon jetzt hatte er Mühe, tief Atem zu holen. Wenn er hierblieb, würde er mit Sicherheit nicht überleben, ansonsten jedoch war sein Schicksal mehr als ungewiß.
    Staubgeblendet versuchte Theo zu ertasten, was genau ihn am Aufstehen hinderte, doch allein mit den Händen konnte er es nicht erkennen. Als er sich die Augen wischte, verschmierte er den trockenen Schmutz mit Schweiß, und das Brennen wurde noch schlimmer. Überall war Staub, Staubwolken mit Rauchwolken vermischt. Etwas kroch über seine Hand, und er riß sie mit einem Aufschrei zurück, obwohl ihm die Lächerlichkeit der Geste völlig klar war: Nichts Lebendiges konnte auch nur annähernd so schrecklich sein wie das gerade erlebte Grauen, die Flamme wie leuchtende Säure, die mit einem Schlag tausend Quadratmeter Glas verflüssigt hatte. Sein Schrei ging in ein hilfloses, ersticktes Husten über. Kleine staubige Käfer krabbelten über seinen ganzen Leib, oder wenigstens sahen sie wie Käfer aus, obwohl sie nahezu völlig rund waren. Ihre Beine standen in alle Richtungen ab; keiner war größer als ein Silberdollar, doch einige waren klein wie Konfettiteilchen. Einer kroch dicht neben seiner Hand über einen anderen, und wo der Staub weggeschabt wurde, sah er es golden schimmern.
    Wie er da in kindlicher Hilflosigkeit am Boden lag, erkannte Theo, daß Nieswurz’ bleiches, ungerührtes Gesicht die ganze Zeit über in seinem Hinterkopf lautlos weitergeredet hatte, eine unendlich wiederholte Schleife mit dem grausamen Lächeln, das der Elfenfürst aufgesetzt hatte, kurz bevor alles in Flammen aufging. Nieswurz war leer wie ein Gespenst – war es das, was ein Gespenst ausmachte? Daß es wie ein lebendiges Wesen aussah, aber gänzlich herzlos war? –, doch er war auch mächtig, mächtiger, als selbst der arme tote Stockrose sich hatte träumen lassen. Fürst Nieswurz und seine Verbündeten hatten ein ungeheuerliches Reptil mit dem kaltblütigen Vorsatz ausgesandt, alle Anwesenden dort im Konferenzsaal zu töten und Gott weiß wie viele Hunderte oder sogar Tausende sonst noch in der Narzissen-Residenz.
    Und möglicherweise war das Vernichtungswerk damit gar nicht abgeschlossen. Falls Theo weiterleben wollte, mußte er hier weg.
    Was seinen Unterleib festkeilte, wurde ihm schließlich klar, war kein Teil der Decke, sondern die schmutzige Platte des Tisches, auf dem der Spiegel gestanden hatte, jetzt aber ihrer Beine beraubt und an einem Ende auf einen Geröllhaufen gebockt. Das Ding war zum Hochheben viel zu schwer, doch indem er immer wieder dagegen drückte, bis er völlig ausgepumpt war, gelang es Theo, eines seiner Beine freizubekommen. Es war ein einziger langer Schmerz, und obwohl der Qualm immer dichter wurde, mußte er sich erst etwas erholen, bis er damit die Tischplatte auch ein kleines Stück vom anderen Bein herunterschieben konnte und nun genug Platz hatte, um den unter der Kante eingeklemmten Fuß zu drehen. Er wälzte sich ganz auf die

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