Der Blumenkrieg
Umständen war es ein gnädiger Tod. Eine Schwester bemerkte, daß sie nicht mehr atmete, fühlte ihren Puls und begann dann mit der Liste der Verrichtungen, die nötig waren, um das Bett für den nächsten Patienten freizumachen. Jemand aus dem Krankenhaus rief Theo zu Hause an und meinte, nachdem er ihm die Mitteilung gemacht hatte, es gebe für ihn keine Veranlassung, vor dem Morgen zu erscheinen. Doch er rappelte sich trotzdem auf und stieg in den alten Wagen seiner Mutter, weil es ihm in seinem schlaftrunkenen Zustand sicherer vorkam, den zu nehmen als sein Motorrad. Sie hatten den Vorhang um das Bett zugezogen und ihr Gesicht mit einem Tuch bedeckt. Als er es wegnahm, wirbelten seine Gedanken in so winzigen Splittern durcheinander, daß er sich wie eine Schneekugel fühlte: tüchtig durchgeschüttelt und dann abgesetzt.
Sie sah nicht besonders friedlich aus. Sie sah nicht aus wie irgend etwas, das er kannte.
Sie sieht aus, als wäre dort, wo einmal jemand war, jetzt niemand mehr.
Er küßte ihre kalte Wange und machte sich auf die Suche nach der Nachtschwester, um alles Weitere zu regeln.
4
Das hungrige Ding
D ie drückende Hitze, die in der Speicherstadt herrschte, war selbst für die Jahreszeit ungewöhnlich. Ein Arbeitstrupp von Nixen, die in einer Pause im Schatten eines der hohen alten Lagerhäuser herumlümmelten, machte der schwarzen Kutsche nur widerwillig den Weg frei, bis einer die Blumenplakette auf dem Nummernschild erkannte. Ein Name lief unter den hageren, sehnigen Gestalten um, raunend wie das Meer, in das sie so lange nicht zurückkehren durften, bis sie ihre vertragliche Schuld abgedient hatten, und sie drückten sich hastig an die Mauer, um die Luxuslimousine vorbeizulassen.
Die Nixen sprachen am Abend in der Taverne Zur Flutmarke über die Begebenheit, doch nicht viel und nur mit nervösen, kabbeligen Flüsterstimmen.
Die Kutsche kam geräuschlos vor dem letzten Gebäude in der Häuserzeile zum Stehen, einem großen, fensterlosen, heruntergekommenen Bau, der am Ende der Mole lag wie ein in der Sonne schlafendes uraltes Tier. Der Wagen flimmerte in den Hitzewellen; als die ersten beiden Insassen ausstiegen, ließ die Verzerrung sie noch monströser erscheinen, als sie ohnehin waren. Beide trugen lange schwarze Mäntel, die aber an der Mächtigkeit der Leiber darunter keinen Zweifel ließen. Sie verharrten eine ganze Weile, vollkommen regungslos bis auf die Augenpaare, die im Schatten ihrer breitkrempigen Hüte hin und her huschten. Dann beugte sich einer in wortlosem Einvernehmen mit dem anderen vor und öffnete die Kutschentür.
Drei weitere Insassen stiegen aus, alle in dunklen, dezent eleganten Anzügen. Der größte der drei ließ seinen Blick über die mittlerweile verlassene Molenstraße schweifen – die Nixen hatten ihre Pause vorzeitig abgebrochen und sich rar gemacht –, dann drehte er sich um und ging den anderen in das Gebäude voraus, wobei er nur kurz innehielt, um einen der gigantischen Leibwächter als ersten durch die Tür zu lassen.
Im Innern machte das Gebäude einen ganz anderen Eindruck, als die rostfleckige, abblätternde Fassade vermuten ließ. Die fünf Besucher schritten einen langen Flur hinunter durch Lichtkegel, die schräg von der hohen Decke herabstrahlten – auf den ersten Blick aus grob herausgebrochenen Löchern, die sich aber bei näherem Hinsehen als durchaus mit Bedacht geformte Oberlichter herausstellten. Der Flur selbst war kahl, die Wände einheitlich schwarz gestrichen, der Boden mit einem dunklen, samtigen Material ausgelegt, dem man entnehmen konnte, daß sein Besitzer es nicht für nötig erachtete, sich vom Geräusch nahender Schritte warnen zu lassen, und nicht befürchtete, daß irgend jemand in sein Heiligtum eindrang, ohne daß er lange, bevor der Betreffende die Tür am Ende des Ganges erreichte, davon Kenntnis erhielt.
An der Tür war ein Messingschild angebracht, auf dem jedoch nichts geschrieben stand. Einer der Leibwächter streckte die Hand nach der Klinke aus, doch der größte der drei fein gekleideten Herren schüttelte den Kopf. Er drückte selbst die Tür auf und trat vor seinen beiden etwas kleineren Begleitern ein; die Leibwächter blieben draußen im Flur, wo sie nervös von einem Fuß auf den anderen traten, so daß der samtige Teppichboden knisternde Funken sprühte.
Die riesige Halle dahinter war von den gleichen eigenartigen Oberlichtern erhellt, so daß es aussah, als würde die hohe Decke von schiefen
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