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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sich an die Klinke und setzte dann einen Fuß an den Türrahmen. Schwer atmend zog er aus Leibeskräften, schrie fast vor Anstrengung. Es knirschte kurz, als ob ein Knochen bräche, dann knallte die Tür auf, und er meinte, einen Engelschor zu hören, der alle anderen Stimmen in seinem Kopf übertönte.
    Die Treppe war beinahe so voll von Schutt, Staub und Rauch wie der Flur, doch zwischen den herabhängenden Balken hindurch sah er einen Weg nach unten. Hunderte, wenn nicht Tausende der kleinen goldenen Käfer waren bereits auf der Treppe, getrieben von einem ihm unbegreiflichen Instinkt strömten sie aus gebrochenen Rohren hervor, formierten sich zu halbwegs geordneten, nirgends hinführenden Schlangen, stauten sich vor Hindernissen. In ihrer kopflosen Verbissenheit erinnerten sie Theo an sich selbst. Er hätte gelacht, doch Kehle und Lungen fühlten sich an, als ob sie voll versengter Wolle wären.
    Nur zwei Stockwerke bis unten, sagte er sich. Dreh jetzt nicht durch, Mann!
    Er hatte die erste halbe Treppe hinter sich gebracht, als über ihm etwas mit dem Knall einer explodierenden Bombe einstürzte und er von der Erschütterung zu Boden geworfen wurde. Die Druckveränderung wirbelte die Staubwolken auf, und in seinen Ohren schrillte ein häßlicher hoher Ton, der nicht wieder aufhörte und von dem ihm ganz übel wurde. Er sog durch seinen improvisierten Mundschutz Luft ein und wartete darauf, zu Brei zerquetscht zu werden, doch auch jetzt wollte die über seinem Kopf schwebende riesige Knochenfaust des Todes nicht zuschlagen. Er rappelte sich auf und taumelte weiter die Treppe hinunter.
    Was mache ich hier in diesem ganzen Irrsinn? Ich bin ein Sänger, nichts weiter als ein mickriger Sänger! Ich bin nicht mal einer der Gitarrenspieler …
    Als das Klingen in seinem Schädel langsam erstarb, erhoben sich ringsherum neue Stimmen, körperlos wie der Heinzel, aber nicht sachlich mitteilend, sondern in hundert verschiedenen Tonarten summend, redend, sogar singend, die reinste Kakophonie. Er überlegte, ob ihm vielleicht etwas auf den Kopf gefallen und dies das Symptom eines Hirnschadens war, oder ob bloß der Abwehrzauber der Narzissen-Residenz ein Loch bekommen hatte, das jetzt wie ein Rohrbruch sprudelte.
    Nach vier halben Treppen, die ihm jede wie eine Meile vorkamen, befand er sich vor der nächsten Tür. Langsam, verwundert begriff er, daß er Stimmen hörte, die von außerhalb seines Kopfes kamen, echte Stimmen, laut, rauh und aufgeregt. Er rutschte aus und fiel hin, stellte sich wieder auf die Beine und zog die Tür auf, nur um von drei völlig verstaubten Gestalten in grauen Polizeipanzern und Kapuzenmänteln fast niedergetrampelt zu werden. Ihre vermummten Silhouetten waren so massig und unförmig, daß er sie im ersten Moment für Oger hielt.
    Einer von ihnen packte ihn mit hartem Griff am Oberarm, und Theo schrie laut auf, auch wenn er sich freute, daß außer ihm noch jemand lebte. Unter der Kapuze hatte der Schutzmann eine Prismenbrille auf, deren Gläser wie die Netzaugen einer Fliege aussahen. Über der Schulter des Polizisten schwebte eine kleine Gestalt mit einer winzigen Leuchtkugel in der Hand, bekleidet mit einer Art Raumhelm und einem Strahlenschutzanzug, so daß sie wie ein Spielzeugastronaut aussah. Theo vermutete, daß es sich um einen zum Rettungstrupp gehörenden Feenmann handelte. Um einen von Apfelgriebs’ Stamm.
    »Ist sonst noch jemand da oben?« schrie der Schutzmann. »Noch jemand am Leben?«
    »Ich weiß nicht.« Das Hemd vor dem Gesicht dämpfte seine Worte, und er mußte es noch einmal lauter sagen. Apfelgriebs, dachte er plötzlich. Mein Gott, wo ist sie?
    »Gut. Komm raus!« Der Mann zerrte Theo unsanft durch die Tür. »Geh zu! Hier den Gang entlang und weiter ins Foyer!« Die Schutzleute drängten sich an ihm vorbei und arbeiteten sich die Treppe hinauf.
    Zitternd, beinahe schwindlig vor Erleichterung eilte Theo den Flur hinunter. Er hatte überlebt. Der Schutt war zum großen Teil zur Seite geschoben worden, der Weg war frei. Gleich würde er an die Luft kommen. Er würde dem Staub und dem Rauch und den zeternden Phantomstimmen und dem ganzen Grauen entkommen, würde von dieser Trümmerstätte fliehen und immer weiter fliehen, einerlei wohin, bis er wieder atmen konnte. Bis er schlafen konnte …
    Der Flur verzweigte sich. In der unleserlichen Elfenschrift, die er aus irgendeinem Grund doch lesen konnte, stand auf einem Schild Foyer, darunter ein Pfeil, der den Weg ins Leben

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