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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Cat über seine vielen Unzulänglichkeiten klagen, hörte, wie Apfelgriebs ihn flach nannte. Er hörte Rainfarns Verachtung und Fürst Narzisses Herablassung.
    Sie alle wollen, daß ich sterbe. Ich bin für sie nur ein Nichts. Selbstmitleid überkam ihn, weil damit zu rechnen war, daß ihr Wunsch sich erfüllte. Aber es war nicht immer so gewesen. Früher hatten alle gewußt, daß er mit seiner Musik etwas werden konnte. Er hatte gesungen, und die Leute hatten andächtig gelauscht oder ihm zugejubelt. Schon in der Grundschule hatten die Lehrer auf Elternmitteilungen und Zeugnissen vermerkt: Theo singt wie ein Engel …
    Oder wie ein Elf. Sollte ihm also selbst das noch genommen werden? Weil sich herausstellte, daß er gar nichts Besonderes war, daß er nur einer anderen Art angehörte? Aber Poppi hat meine Stimme gefallen … Das hat sie gesagt, und sie hat nie jemand anders als Elfen gehört …
    Der Rauch wurde jetzt so dicht, daß er mehrmals vergaß, wo er war, und meinte, es wäre Nebel, er wäre auf einem der Hügel zu Hause in San Francisco und sähe ihn von Westen aufziehen. Oder in seiner Waldhütte, wo draußen die Bäume ganz dunstig und gespenstisch wurden …
    Einfach um irgend etwas Vertrautes zu hören, hustete er sich den Staub aus Mund und Kehle und fing an, das erste zu singen, was ihm in den Sinn kam:
     
    »… Doch … ich sing nur … wenn ich zu trinken krieg.
    Ich bin betrunken … bin selten nüchtern …«
     
    Zuerst kam kaum ein Ton heraus, nur schwach hingehauchte Worte, noch zusätzlich gedämpft durch das vors Gesicht gebundene Hemd. Er atmete tief durch, hustete abermals und sang etwas lauter.
     
    »… Nur ein Vagabund von Stadt zu Stadt.
    Ach, ich bin krank, gezählt sind die Tage,
    Drum kommt, junge Männer, und legt mich ins Grab.«
     
    Es war das alte Lied, das er seiner sterbenden Mutter vorgesungen hatte. Es lag nicht viel Kraft darin – seine Stimme war ein unverständliches Krächzen, und jede Silbe kratzte in seiner Kehle wie Stahlwolle –, aber es war eine eigene Äußerung, etwas anderes als das zermürbende innere Stimmengewirr. Er wühlte sich durch die Trümmer und sang mit kaum mehr als Flüsterlautstärke.
     
    »Nur eine Nacht in Carrickfergus,
    In Ballygrand wünscht ich mir so sehr.
    Um meine Liebste zu finden, schwämm ich
    Über das tiefe, das tiefste Meer …«
     
    Das Meer. Er hatte nicht übel Lust zu ertrinken, wenn es in wunderbar kühlem Wasser geschehen könnte, er müßte nur den Mund aufmachen und es hinunterschlucken …
    Plötzlich merkte er, daß er es mit einem neuen Hindernis zu tun hatte, und blickte auf. Vor lauter Anstrengung, das massive Stück Decke vor sich wegzuräumen, hatte er gar nicht erkannt, woran es sich verhakt hatte: eine Türklinke.
    Eine Türklinke.
    Er war von dieser Erscheinung geblendet wie Saulus auf der Straße nach Damaskus. Eine Türklinke. Und das hieß … eine Tür. Eine Tür! Er hatte das Ende des Gangs erreicht.
    Es gelang ihm, das schwere Deckenstück etwas zur Seite zu schieben, bevor er sich abermals dagegenstemmte, und diesmal bekam er es aufrecht hingestellt und konnte es dann wegstoßen, so daß es auf die übrigen Trümmer kippte, die sich am Flurende angesammelt hatten. Jetzt konnte er die Klinke richtig erkennen, staubbedeckt wie ein Ornament in einer Gruft. Seine Finger schlossen sich darum. Nach innen, die Tür soll nach innen aufgehen! Bitte, Gott, mach, daß sie nach innen aufgeht! Wenn sie nach innen aufgeht, zu mir hin, dann heißt das … was heißt das noch mal? Er kämpfte dagegen an, abzudriften und die innere Klarheit zu verlieren. Genau. Das hieße, daß es ein Ausgang ist – die Treppe höchstwahrscheinlich. Aber wenn sie nach außen aufgeht, von mir weg, dann ist dahinter wieder ein Büro.
    Die Vorstellung war unerträglich. Er drückte die Klinke und zog. Die Tür ging nicht auf.
    Eine ganze Weile saß er völlig vernichtet im Staub, schmierige Tränen in den Augen. Er raffte sich zu einem neuen Versuch auf und schob, doch als er auch damit keinen Erfolg hatte, glomm ein Fünkchen Hoffnung in ihm auf.
    Vielleicht ist die Tür doch ein Ausgang, und sie klemmt bloß.
    Er spreizte die Beine, packte die Klinke mit beiden Händen und zog. Nichts geschah, doch er meinte, ein ganz minimales Rucken zu fühlen, als wollte die Tür sich bewegen, wäre aber noch verkeilt. Täuschung, die Selbsttäuschung eines zum Tode Verurteilten, das mußte es sein. Trotzdem nahm er abermals Aufstellung, klammerte

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