Der Blumenkrieg
erzeugt wird, Junker Vilmos?«
»Ich habe ein wenig darüber gehört«, antwortete Theo grimmig. »Im Prinzip durch Ausbeutung von Sklaven, bis sie ausgebrannt sind, richtig?«
»Eine treffende Zusammenfassung. Und Stracki war ein solcher Krafterzeuger. Er arbeitete in einem Stechapfel-Kraftwerk als Kondensator, was darauf hindeutet, daß er angeborene Fähigkeiten besitzt, die über das Normale hinausgehen. Auf jeden Fall war Stracki, lange bevor er das natürliche Verschleißalter erreicht hatte, in einen sehr schweren Unfall verwickelt. Man weiß nicht genau, was geschah, aber aus irgendeinem Grund kam es zu einer extremen Kraftüberlastung, und er war genau mittendrin.«
»Wenn ihr hier Kraft sagt, dann meint ihr das, was ich Zauberkraft nennen würde, Magie, stimmt’s?«
»Ah, richtig, du bist erst vor kurzem aus der Menschenwelt gekommen. Ja, ich denke, das stimmt. Aber wie du es auch nennst, es war ein furchtbarer Unfall. Stracki kam beinahe ums Leben – eigentlich hätte er sterben müssen, aber sonderbarerweise starb er nicht. Als er sich halbwegs erholt hatte, lief er davon. Geistig verwirrt und völlig ausgehungert schlug er sich in die Randbezirke der Stadt durch und irrte durch die Straßen von Ostwasser. Ich fand ihn. Ich gab ihm zu essen. Ich brachte ihn hierher.«
»Gut, das dürfte erklären, was er hier an der Brücke macht, aber nicht …«
»Das mit den Stechäpfeln?« Knopf biß wieder von seinem Brot ab und tupfte sich dann diskret mit dem Kuttenärmel den Mund. Wenn die fingerförmige Nase und die gelben Fänge nicht gewesen wären, hätte Theo sich in der Gesellschaft eines Beduinenscheichs fühlen können. »Das ist auch mir ein Rätsel. Es hängt wohl mit seinem Unfall zusammen, mit seiner Veränderung dadurch. Er hört Stimmen. Anfangs dachte ich, es wären nur Wahnvorstellungen eines gestörten Geistes, doch es ist mehr als das. Ich habe genug davon mitbekommen, um zu wissen, daß er in irgendeiner Weise, ähem, eine Verbindung zu den Kraftsystemen in der Stechapfel-Residenz unterhält – flüchtig und labil, aber immerhin eine Verbindung – und daß er deswegen Dinge hört, Dinge erfährt. Er kann sie nicht alle erklären, und obwohl er inzwischen zu verstehen scheint, was geschehen ist, belastet es ihn immer noch sehr, diese Stimmen in seinem Kopf zu hören.«
Theo setzte sich zurück. Er war satt und beinahe zufrieden; die Verzweiflung der vorangegangenen Tage war fürs erste in eine annehmbare Distanz gerückt. Geistkraut und Musik, dachte er. Und ein gutes Essen. Das ist vielleicht nicht die beste Art, ein Problem durchzuarbeiten, es ordnet dein Leben nicht neu und bringt deine Freunde nicht zurück, aber es ist besser als ein spitzer Stock im Auge. »Na, ziemlich verrücktes Zeug, soviel steht fest«, sagte er zu dem Goblin, »aber wenigstens halbwegs nachvollziehbar. Ich muß aufhören, nach den Regeln zu denken, die ich von zu Hause kenne. Dadurch falle ich auf wie ein bunter Hund. Das bringt mich in Schwierigkeiten.«
»Genau damit solltest du nicht aufhören, mein Freund.« Knopf schob seinen Teller von sich weg. »Es ist wichtig, daß du weiterhin denkst wie der, der du bist – oder wie der, für den du dich lange gehalten hast. Wie ein Mensch.«
»Wozu soll das gut sein? Und woher weißt du überhaupt, daß ich kein Mensch bin?«
Diesmal lächelte der Goblin nicht. »In diesem Lager hast du nur noch wenige Geheimnisse, Theo Vilmos. Aber hab keine Angst. Wir sind deine Freunde, oder wir wären es gern. Und wir brauchen dich.«
»Ihr braucht mich? Wofür?«
»Da bin ich mir noch nicht sicher. Aber die schlimmen Tage kommen bald, die Tage des Feuers. Nein, sie sind schon da. Und ich spüre, daß wir dich brauchen werden, sehr dringend sogar. Und doch kann es sein, daß wir es nicht schaffen. Wir leben in der Zeit eines Schrecklichen Kindes, Theo Vilmos. In einer Zeit, wo böse Träume bei Tag zum Leben erwachen.«
Er konnte das nicht alles verarbeiten. Theo schloß die Augen, ließ sich vom Stimmengewirr am Tisch überspülen. »Darf ich dir noch eine letzte Frage stellen?«
»Selbstverständlich.«
»Die Sache mit deinem andern Namen heute abend. War das so eine große Sache, ihn zu verraten, wie es den Anschein machte?«
»Ich glaube nicht, daß irgendein Goblin vor mir jemals einer Person außerhalb seines Nests den Namen enthüllt hat und ganz gewiß niemandem, der nicht zu seinem Stamm gehörte. Aber wir leben in einer Zeit des Wandels. Es kam mir richtig
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