Der Blumenkrieg
perlenden Fenster stehen. Es war ein Kind, ein auf den ersten Blick ganz normal wirkender Junge, wenn man einmal von dem spatzenbraunen Lockenhaar und dem ein wenig feisten Gesicht absah, doch etwas anderes an ihm, das sie nicht gleich benennen konnte, war irgendwie merkwürdig. Er hatte leicht kürzere Gliedmaßen als die meisten Kinder in seinem Alter, und seine Augen hatten eine höchst ungewöhnliche Farbe: nicht violett oder smaragdgrün oder blaßtürkis, wie sie es sonst von Mitgliedern der Blumenfamilien gewohnt war, sondern braun. Erst nach kurzem Besinnen ging ihr auf, daß seine Gesichtszüge und Proportionen nicht einfach außerhalb der gängigen Norm lagen. Er war ein Mensch.
»Das ist er.« Anton gab sich alle Mühe, scherzhaft zu klingen, doch es gelang ihm nicht ganz. »Wink ihm mal.«
Der kleine Junge beobachtete sie ausdruckslos, getrennt von ihr nur durch eine Glasscheibe und einen Abstand von weniger als einer Armlänge. Es waren seine Augen, die sie gebannt hielten, und nicht allein ihre eigenartige Farbe, erdig wie eine schlammige Pfütze: In ihnen glomm eine Intelligenz, die nicht zu den übrigen kindlichen Zügen paßte, und sie hatten einen Blick, der so tief und kalt war wie ein wolkenloser Winterhimmel. Da lachte der Junge sie an, und gegen dieses langsame Zähneblecken war das Raubtiergrinsen seines Adoptivvaters geradezu warm und herzlich gewesen. Sie wandte sich ab, die Kehle wie zugeschnürt.
»Warte!« rief Anton Nieswurz hinter ihr her, als sie zum Fahrstuhl zurückeilte. »Willst du nicht noch meine Experimente sehen …?«
S chließlich fand sie durch das Gängegewirr zum Wartezimmer zurück. Die nymphische Sekretärin blickte bei ihrem Erscheinen etwas verblüfft, bot ihr aber wieder Tee an.
»Nein.« Sie brachte kaum einen Ton heraus. Ihr war, als schrie ihr jemand ins Ohr, drängte sie, so schnell wegzulaufen, wie sie konnte. Sie saß da und trommelte mit den Fingern, eine Zeitschrift ungelesen auf dem Schoß. Was machte sie hier? Sich wie eine Zuchtkuh den Nieswurzen vorführen und von ihnen taxieren lassen, das machte sie. Doch auch wenn der Plan bestand, sie mit dieser schlaksigen Mißgeburt zu verheiraten, machte sie sich keine Illusionen, welchem Stier sie letztlich zu Willen zu sein hatte. Der kühle, zufriedene Blick, mit dem Nieswurz senior sie bedacht hatte, war gar nicht zu mißdeuten.
Und dann dieses Ding in dem dunstigen Raum …!
Sie stand auf, weil ihr war, als müßte sie in Ohnmacht fallen, wenn sie nicht gleich zur Toilette ging und sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Doch sobald sie einmal auf den Beinen war, bewegte sie sich zielstrebig auf den Ausgang zu.
»Jungfer Stechapfel?« rief die Sekretärin. »Willst du uns schon verlassen? Du solltest besser nicht allein durch das Haus gehen.«
Sie machte die Tür zum Flur und zu den Fahrstühlen auf.
»Soll ich deinem Vater etwas ausrichten …?«
Sie zog die Tür fest hinter sich zu.
31
In den Blütenjahren
C aradenus Primel betrat das Zelt mit der starren Miene eines Mannes, der sich einem Urteil unterwirft. Nein, nicht einfach ein gewöhnlicher Mann, dachte Theo, sondern ein König, der sich vor seinen Untertanen verantworten muß.
»Ihr seid jetzt schon mehrere Tage hier«, begann der Elfenfürst, »und ich habe mich meiner Schuld noch immer nicht entledigt.« Sein Ton klang viel bedrückter und trauriger, als man nach seiner Miene vermutet hätte, und Theo war sofort milder gestimmt.
Vermutlich kann er nicht anders. Er benimmt sich, als wäre er auf so eine kniffärschige Privatschule gegangen. Na ja, wahrscheinlich ist er das sogar, aber selbst für einen Blumenelf ist er ziemlich verklemmt. »Ich glaube, ich sagte, daß ich nicht darauf bestehe.«
Primel neigte den Kopf. »So ist es. Aber um ganz offen mit dir zu sein, Junker Vilmos: Was mich quält, ist mein eigenes Wissen, daß ich dir Unrecht getan habe, kein Zwang, den du mir auferlegt hättest.«
»Hat da wer gefurzt?« fragte Mamsell Zwick. »Also entweder hat jemand grade einen richtigen Goblinkracher fahrenlassen, oder jemand redet von irgendwelchen Ehrenpflichten. So oder so wird die Luft hier drin ziemlich dick für solche wie uns Pucke, die sich um so was wie Ehre keinen Kopf machen müssen. Ich denke, ich geh einen kleinen Spaziergang machen. Kleiderhaken, hilfst du mir, Stracki zu finden? Ich hab ihn seit dem Frühstück nicht mehr gesehen, und ich möchte sichergehen, daß keiner von deinen Goblinkumpanen ihm
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