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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ganze Weile und dachte nach. Draußen vor dem Zelt ertönte Geschrei, Kinderkreischen, Lachen – Zeichen, daß die Leute die Nachmittagssonne am alten Fluß genossen. »Es fällt mir schwer, ihn gerecht zu beurteilen, da meine Sicht von ihm durch das gefärbt ist, was später geschah, was er meiner Schwester antat …« Er schloß die Augen; Theo wartete so geduldig, wie er konnte. Wuschel Segge, sah er, machte sich sogar Notizen in ein kleines Schreibheft. »Er war amüsant, das war eine der ersten Sachen, die einem an ihm auffielen. Er wußte, daß er für uns eine Kuriosität war, daß sein Aussehen und seine Sitten und Gebräuche uns völlig skurril vorkamen, und daher übertrieb er sie bewußt. Das war einer der Gründe, denke ich, weshalb die Levkojen ihn gern hatten: Er war ihr dressierter Mensch, niedlich wie ein in Kleider gesteckter und Männchen machender Hund. Ich bitte um Verzeihung, falls dich das verletzt, aber so nahmen wir die Menschen wahr, und deshalb war es auch so schlau, wie Eamonn Dowd sich verhielt. Es ist schwer, jemanden zu fürchten, der sich selbst veralbert.«
    »Wie sah er aus?«
    Der Elf warf ihm einen gequälten Blick zu. »Wie er aussah? Wie ein Mensch. Ich kann einen von ihnen kaum vom anderen unterscheiden, wenn ich ehrlich sein soll. Ich nehme an, für die Verhältnisse seiner Art war er einigermaßen normal: nicht zu klein, nicht zu dick. Er hatte Haut wie du, dunkle Haare und auch dunkle Haare auf der Oberlippe.«
    »Einen Schnurrbart.«
    »Genau. Wir tragen hier keine, mit Ausnahme verschiedener Gnome, die sie sich dafür extrem lang wachsen lassen. Dein Großonkel machte sich auch daraus einen Witz und unterschrieb seine Briefe oft mit ›der große Gnom‹.«
    »Er schrieb Briefe an Leute hier?«
    »Wir schrieben damals alle Briefe. Es galt als unhöflich, zum Beispiel eine Einladung auf einem der schnelleren, aber wissenschaftlicheren Wege zu beantworten. Ich war noch zu jung, um mich mit solchen Dingen groß zu befassen, aber ich weiß noch, daß eine unserer Köchinnen einmal Angst hatte, sie könnte es nicht rechtzeitig zum Markt schaffen, um das Beste von diesem oder jenem für die abendliche Tischgesellschaft zu besorgen, und deshalb kurzerhand hinflog. Sie benutzte ihre Flügel in einer Angelegenheit des Hauses! Mutter war natürlich entsetzt – etwas Derartiges war in unserer Familie seit den Winterdynastien nicht mehr vorgekommen. Mit anderen Worten, ja, wir alle schickten Briefe und Mitteilungen, die meistens von den Dienern direkt zugestellt wurden.«
    »Hast du ihn gemocht?«
    Primel runzelte die Stirn. »Auch das ist schwer zu sagen. Ich vermute, ja, aber nicht in der gleichen Weise wie die Levkojen. Ich fand es bewundernswert, daß er sich solche Mühe gab, dazuzugehören, daß er die Abweisungen – und es gab natürlich viele Abweisungen – ohne sichtlichen Groll hinnahm. Wenn er von einem Mitglied der menschenfeindlichen Familien in der Öffentlichkeit beleidigt wurde, riß er einen Witz darüber und ging seines Weges. Wenn er bei einem geschäftlichen oder sozialen Vorhaben mit derselben Einstellung konfrontiert wurde und daran scheiterte, lächelte er und versuchte es auf einem anderen Wege. Ich frage mich heute, ob er uns nicht die ganze Zeit über gehaßt hat dafür, was wir mit ihm machten, wie wir ihn behandelten …«
    »Nicht nach dem, was ich gelesen habe.«
    »Wie bitte?«
    »Ich besitze ein Notizbuch von ihm. Im Augenblick hat es Wuschel. Ich habe es gelesen, und was darin über Neu-Erewhon steht – das war sein Name für diese Stadt –, ist zum größten Teil ziemlich bewundernd. Natürlich umfaßt es nicht seine ganze Zeit hier …«
    Mit einemmal hellwach beugte Primel sich vor, und sein langer Körper zitterte geradezu, als wäre er ein Vorstehhund. »Was schreibt er über meine Familie? Über meine Schwester?«
    Die plötzliche Heftigkeit des Elfenfürsten war fast beängstigend. »Eigentlich nichts. Ich habe es noch mal gelesen, nachdem du … nachdem du und ich uns begegnet sind. Über deine Schwester schreibt er gar nichts, sofern sie auch Primel heißt, nur dich erwähnt er flüchtig – daß er dich einmal mit irgendwelchen Kobolden von einem Mondbranntweinfest oder so ähnlich zurückkommen sah …«
    »Ah, ja. Sphen und … und Jaspis.« Primels Augen waren an die Zeltdecke gerichtet.
    »Hä?«
    »Die beiden Kobolde. Ihre Familiennamen weiß ich nicht mehr. In den Blütenjahren waren wir gute Freunde.« Zum erstenmal sah Theo ihn

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