Der Blumenkrieg
Titania nicht über alle bekannten Länder geherrscht hatten, ja, über eine solche Zeit gab es nicht einmal Bücher in den Bibliotheken! Und jetzt waren sie tatsächlich dahingegangen, und es war doch nicht alles zusammengebrochen, so daß wir natürlich erleichtert und aufgeputscht waren. Hinzu kam, daß das Parlament der Blüten Veränderungen einzuführen schien, die alle gewollt hatten, und der Eindruck entstand, der König und die Königin hätten den Einzug der modernen Zeit durch ihre schlichte Existenz aufgehalten und jetzt könnte endlich der Fortschritt kommen. Es war damals noch nicht deutlich – und für Leute wie mich erst recht nicht –, daß das Parlament weitgehend von den Sieben Familien kontrolliert wurde. Meine Familie war eine der Sieben, deshalb bemerkte ich überhaupt nicht, daß nicht alle so glücklich waren, daß es überall Bettler auf den Straßen gab, daß der Krieg mit den Riesen viele Tausende ihrer Wohnung und ihres Lebensunterhalts beraubt hatte. Es gibt in den regierenden Häusern wahrscheinlich heute noch Leute, die der Meinung sind, Nieswurz und die übrigen hätten nichts anderes getan, als einmal ordentlich mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, und die ihr Leben wie gewohnt weiterführen, von keinen anderen Sorgen geplagt, als wer in diesem Jahr bei den Spielen am Tag des Alten Hügels gewinnt. In hundert Jahren werden sie sich schon nicht mehr an die Bettler und die Leichen erinnern.«
Theo mußte unwillkürlich an Poppi Stechapfel denken, an ihren Schulmädchenzynismus und ihren Ennui.
»Ich nehme an, ich habe ihn auf einem der Feste bei den Levkojen kennengelernt«, fuhr Primel fort. »Die Levkojen waren während des Riesenkrieges außerordentlich reich geworden und wollten das aller Welt demonstrieren, und deshalb gaben sie beinahe jedes Wochenende unglaublich prunkvolle Feste. Die neuen pferdelosen Kutschen parkten in kilometerlangen Reihen vor ihren Toren, und alle Fenster des Turmes waren erleuchtet. Man konnte die Musik noch viele Straßen weiter hören.« Er lächelte. »Es mag in mancher Hinsicht nicht richtig gewesen sein, aber spannend war es gewiß.
Jedenfalls gab es zu der Zeit nur noch sehr wenige Menschen in Elfien. Auf dem Höhepunkt des Riesenkrieges hatte das Parlament der Blüten eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die es erschwerten, in Elfien ein- und auszureisen – auch wenn natürlich nicht damit zu rechnen war, daß die Riesen sich unbemerkt hineinstahlen. Der Kleeblatteffekt geht auf diese Parlamentsbeschlüsse zurück. Unter Einsatz gewaltiger Wissenschaft wurde dafür gesorgt, daß niemand sich um die Reisebeschränkungen herumdrücken konnte, und damit einher gingen viele Härten, vor allem für diejenigen mit starken Bindungen an die Menschenwelt. Aber so war der Zeitgeist damals. Du mußt verstehen, wir hätten den Krieg beinahe verloren. Nur daher erklärt sich, warum die Leute über so vieles hinwegsahen und so vieles geschehen ließen, dem man sich hätte widersetzen sollen. Weil wir beinahe verloren hätten. Allein im letzten Gefecht zerstörten die Riesen ungefähr die halbe Stadt. Hier, wo wir jetzt sitzen, standen ihre Katapulte, mit denen während der Invasion der Stadtteil Langschatten weitgehend zertrümmert wurde – deshalb nennen wir ihn heute Kriegssteine. Ich weiß nicht, ob du ihn gesehen hast. Er ist niemals richtig wiederaufgebaut worden. Der Kampf war schrecklich, selbst aus der Ferne – falls du noch nie einen Riesen in voller Gefechtsmontur gesehen hast …« Er schüttelte den Kopf. »Entschuldige, ich verliere den Faden meiner Geschichte.
Weil es nun also nach dem Krieg so wenige Menschen bei uns gab, wurde dein Großonkel so etwas wie eine Berühmtheit, nicht sehr bedeutend, aber doch wohlbekannt und in vielen hohen Häusern willkommen. Die Levkojen waren das, was wir heute Symbioten oder sogar Kriecher nennen, den Menschen freundlich gesonnen, und so war Dowd ein Stammgast bei ihren wöchentlichen Festen. Für Tertius Levkoje war er fast so etwas wie ein jüngerer Bruder. Tertius lebt nicht mehr – er fiel im Blumenkrieg, der einige Jahre später ausbrach. Er und seine Familie verbündeten sich mit den Veilchen gegen die anderen sechs regierenden Familien und verloren das Spiel, aber das ist eine andere Geschichte …«
»Was war Eamonn Dowd für einer?« fragte Theo. »Wie gesagt, ich habe ihn nie gesehen. Als ich zum erstenmal von ihm hörte, war er bereits ein Vierteljahrhundert tot.«
Primel schwieg eine
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