Der Blumenkrieg
groß war, daß sie es nicht nötig hatte, andere zu beleidigen, um sich selbst zu beweisen. Es war, als würde man mit fachmännischem Metzgerblick von einem Goblin inspiziert, der fest damit rechnete, einen irgendwann zu verspeisen. »Ja, sehr schön.«
Ihr Vater nickte kaum merklich. Der Atem stockte ihr in der Kehle. War das die Absicht, mit der sie hergebracht worden war? Sollte sie schlicht und einfach dem Herrn des Hauses Nieswurz als eine Art Tribut dargebracht werden?
Mit nur der leisesten Andeutung von Besitzergreifung nahm Nieswurz sie am Arm und führte sie und ihren Vater zum größten Fahrstuhl, dem »Ogerkasten«, wie er in den hohen Adelshäusern manchmal genannt wurde. Er mußte groß und leistungsstark sein, denn zwei Paar Leibwächter stiegen mit ein und preßten sogleich ihre mächtigen Körper an die Wände, um den Schutz zu maximieren und um außerdem ihren kleineren Arbeitgebern in der Mitte des Fahrstuhls möglichst viel Raum zu lassen. Alle vier unförmigen Wächter hatten todernste Mienen aufgesetzt. Sie war sicher, daß ihre eigene Miene um nichts heiterer war, und ihr Vater sah fast immer so aus wie die Totenmaske eines berühmten Generals. Allein Nieswurz, der Mörder von Tausenden, schien bester Laune zu sein. Er erhaschte Poppis Blick und zwinkerte. Nur unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihr, die Knie durchgedrückt und den Körper aufrecht zu halten.
Sie war schon ewig nicht mehr in den oberen Etagen der Nieswurz-Residenz gewesen – irgendein Fest zum Auftakt der Parlamentsferien vor Jahrzehnten war das letzte Mal, an das sie sich erinnern konnte –, und sie staunte jetzt ein wenig darüber, wie furchtbar normal alles aussah. Die Ausstattung war der Mode entsprechend karg, der Anstrich der Mode entsprechend leuchtend, aber außer einem gewissen erschöpften und nervösen Blick auf den Gesichtern der vorbeihuschenden Angestellten (die alle stehenblieben, um sich zu verbeugen und an ihren Stirnlocken zu zupfen, bevor sie an ihrem Herrn vorbeigingen, obwohl dieser die Huldigung nie zur Kenntnis nahm) war alles nicht viel anders als in der Stechapfel-Residenz oder in den Turmhäusern der übrigen mächtigsten Familien. Nur bei Niedrigstehenden wie den Felberichen oder dem Glockenblumen-Malven-Syndikat konnte es vorkommen, daß man jemanden pfeifen oder singen hörte oder Angestellte sah, die in Sichtweite eines Mitglieds der Arbeitgebersippe stehenblieben und sich unterhielten. Nur in den Familien, die die Jagd nach der Macht aufgegeben hatten, ging es jemals locker zu.
Wie sie sich sehnte, in so einer Familie zu leben!
»Ich hoffe, du verzeihst uns, Poppäa«, sagte Fürst Nieswurz unvermittelt, als sie im zweiundfünfzigsten Stock aus dem Fahrstuhl in ein weitläufiges Foyer mit einer freischwebenden Fontäne an einem Ende traten, einem endlosen Kreislauf fließenden Wassers mitten in der Luft. »Ich habe mit deinem Vater dringende Angelegenheiten zu besprechen, die uns aber nicht lange in Anspruch nehmen werden. Wenn du ein Weilchen hier warten möchtest, schicke ich dir jemanden, der dich herumführt.«
»Oh, nein, bitte.« Der Gedanke, eine Weile alleingelassen zu werden, war die erfreulichste Mitteilung, die sie an dem Tag bis dahin erhalten hatte. »Nur meinetwegen muß sich niemand die Mühe machen.«
Nieswurz lächelte und zwinkerte abermals. Auch ihr Vater lächelte, und sie bekam eine Gänsehaut. »Das ist überhaupt keine Mühe. Dann sehen wir dich also zum Essen. Es gibt ein ziemlich gutes Weißhirschfilet hier im Residenzrestaurant.«
Die blasse Frau hinter der Theke – sehr hübsch mit ihren strähnigen Haaren und dem wäßrigen, schwermütigen Blick, der vermuten ließ, daß sie Nymphenblut hatte – erhob sich und verneigte sich ehrerbietig vor Poppi. »Kann ich dir irgend etwas bringen, Jungfer? Betonientee? Ein Glas Quellwasser?«
»Nein, danke, ich möchte nichts.« Poppi setzte sich. Urplötzlich tauchte ein Zeitschriftenständer neben ihr auf, wo unmittelbar vorher nur die nackte Wand gewesen war. Netter Effekt, dachte sie. Sie zog eine Nummer von Turmhaus heute heraus und blätterte einen lobhudelnden Artikel über Fürst Lilie und den vollständigen Umbau der Lilien-Residenz auf. Ein Schauder lief ihr das Rückgrat hinunter, als ob ihr jemand einen Eiswürfel in den Kragen ihrer Bluse gesteckt hätte. Die Lilien-Residenz war nur noch Schutt und Asche. Sie schaute auf das Datum des Magazins und sah, daß es erst wenige Wochen alt war. Es war
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