Der Blumenkrieg
zusammen.«
Aurelia Nieswurz entblößte höchst eindrucksvolle Zahnreihen. »Und da leistet dir Anton inzwischen Gesellschaft. Wie reizend! Weißt du was, du mußt eines Tages mal zum Tee kommen, damit wir uns richtig kennenlernen. Und dein Vater soll sich schämen, daß er dich nicht schon früher einmal mitgebracht hat, wobei natürlich diese Feindseligkeiten uns alle sehr mitnehmen. Wie alt bist du jetzt, Liebes? Mindestens hundert, nicht wahr? Ja, ja, du bist zu einer ganz entzückenden jungen Frau herangewachsen.« Sie hob die Hand. »Aber jetzt mußt du mich entschuldigen, ich habe heute schrecklich viel zu tun. Ich bin nur noch bis morgen in der Stadt, dann geht es wieder hinaus aufs Land. Amüsiert euch gut, ihr jungen Leute!«
Fürstin Nieswurz rauschte davon, gefolgt von einem kleinen Troß Dienstboten.
Poppi war immer noch innerlich mit der Frage beschäftigt, warum sich die Begegnung so unnatürlich angefühlt hatte – schließlich war dies Fürstin Nieswurz’ Haus, warum sollten sie ihr da nicht zufällig über den Weg laufen? –, als Anton Nieswurz ein unwilliges Knurren hören ließ. Sein Gesicht war noch mürrischer und damit kindlicher geworden, ganz als ob das Zusammensein mit seiner Mutter ihm kurzfristig die Hälfte seiner Lebensjahre abgesaugt hätte.
»Ich will nicht heiraten«, sagte er.
Im ersten Moment hatte Poppi keine Ahnung, was er damit meinte. Doch gerade als ihr dieser ganze Tag klar zu werden begann und sie einen jähen Anfall von Übelkeit unterdrücken mußte, wandte Anton sich ihr zu. »Willst du meinen Stiefbruder sehen?«
»Was?«
»Meinen Stiefbruder. Na ja, meinen Adoptivbruder. Alle fragen mich immer nach ihm aus, wollen wissen, wie er wirklich ist. Mutter und Vater lassen niemanden zu ihm.«
Aha, das soll also dein kleiner verkorkster Racheakt sein, sagte sie sich. Ein Verbot, das du übertreten kannst. Weil sie vorhaben, dich mit mir zu verkuppeln, und du dich wahrscheinlich für Mädchen gar nicht interessierst. Und für Jungen wohl auch nicht. »Ich habe von ihm gehört. Die Leute nennen ihn …«
»Ein Schreckliches Kind.« Anton verzog das Gesicht, dann drehte er sich um und schritt auf den Fahrstuhl zu, diesmal sogar, ohne »komm mit!« zu sagen. »Das ist ein doofer Name«, bemerkte er über die Schulter. »Er macht gar nichts.« Er wartete, bis sich die Fahrstuhltür hinter ihnen geschlossen hatte, und beugte sich dann nahe an sie heran. Sein Atem roch nach Kupfer. »Ich habe schon viele Leute getötet!« teilte er ihr in vertraulichem Flüsterton mit.
Sie wußte nicht, wie sie anders darauf reagieren sollte, als die Lippen fest zusammenzupressen und flach zu atmen.
»Doch, habe ich!« beteuerte er wie in Rechtfertigungsnot. »In meinen Experimenten. Sonst findet man nie etwas heraus. Ich zeige dir nachher mein Labor, wenn du willst.« Der Fahrstuhl ging auf, und sie mußte hinaustreten, weil er hinter ihr war. »Hier lang«, sagte er.
Die Luft in diesem Stockwerk war merklich wärmer, so als ob der Hausheinzel vergessen hätte, sie zirkulieren zu lassen. Feucht war sie auch – Poppi spürte plötzlich, daß ihr die Bluse am Rücken klebte. Viel mehr spürte sie nicht außer einer gewissen Schwindeligkeit. Ihr war, als schwebte sie auf Wolken, als wäre ihr Kopf ein Löwenzahnsamen, der auf einer Brise durch den heißen, feuchten Gang wehte.
Das Fenster fing ungefähr in der Hälfte des Flurs an und war etwa fünfzehn Schritte breit. Der Raum hinter der Scheibe war so dunstig, daß man außer ein paar vagen Umrissen nichts erkennen konnte – Möbel, hatte sie den Eindruck, niedrige weiße Stühle und ein weißer Tisch. Selbst die Wände schienen weiß zu sein. Die ganze Szene erinnerte sie unangenehm an eine illegal ausgestrahlte Spiegelsendung, die eines der Mädchen im Internat kopiert und die sie spät nachts auf einer Party gezeigt hatte. Die angeblich im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts entstandenen Aufnahmen sollten die Geisterwelt zeigen – den Ort, an den alle Spiegel angeschlossen waren –, und zu dem Zeitpunkt, umringt von kichernden Mitschülerinnen, hatte Poppi es größtenteils langweilig gefunden, doch die wabernde Leere des Ganzen, die Andeutungen von Gesichtern und verzerrten Gestalten, war ihr danach in mehreren Albträumen erschienen.
Wie von diesen beklemmenden Erinnerungen gerufen trat jemand aus dem Hintergrund des dampfigen Raumes auf sie zu und blieb erst unmittelbar vor dem langen, von Wassertropfen
Weitere Kostenlose Bücher