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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ohne eine Gesetzesänderung, und die bedürfte eines einstimmigen Beschlusses im Parlament der Blüten«, erklärte Wuschel. »Danach müßten sie den Effekt außer Kraft setzen, was eine furchtbare Arbeit wäre – allein seine thaumaturgischen Grundlagen zu installieren hat seinerzeit Monate gedauert. Aber wie Junker Primel in anderem Zusammenhang sagte, das ist eine andere Geschichte.«
    Es gab immer noch vieles an Primels Schilderung, das Theo nicht verstand. »Um noch mal auf deine Schwester zu sprechen zu kommen, falls das Thema dich nicht zu sehr belastet. Zerstört, sagtest du. Wie? Was geschah mit ihr?«
    »Es liegt viele Jahre zurück«, sagte Primel. »Es sollte eigentlich nicht so weh tun. Zu der Zeit ereigneten sich viele Dinge, die folgenschwerer und, ja, schrecklicher waren, und doch leide ich noch immer sehr darunter. Meine Eltern kamen nie ganz darüber hinweg. Wir holten sie zurück, nicht wahr, und daher wissen wir, daß es definitiv Eamonn Dowd war, der sie raubte, denn es gab noch andere Beweise für seine Schuld außer dem Wort der gedungenen Entführer, die sein Gesicht nie zu sehen bekamen. Der Ort, an dem sie festgehalten wurde, war mit Geld von Dowds Konten hier in Elfien bezahlt worden, und der Brief, den er zu ihrem Willkommen geschrieben hatte, wurde ebenfalls gefunden, und er war unzweifelhaft in seiner Handschrift. Doch als wir schließlich sein Versteck aufspürten, war er bereits ausgeflogen. Er hatte sie zurückgelassen wie einen abgelegten Schuh.« Der Elf tat einen tiefen Atemzug. »Wir wissen nicht, was geschah, was er mit ihr gemacht hat, doch als wir sie fanden, war sie wahnsinnig – unheilbar wahnsinnig. Nein, schlimmer. In Wahnsinnigen erhält sich wenigstens ein Rest ihrer früheren Persönlichkeit, manchmal wesentlich mehr als nur ein Rest. In meiner Schwester war – und ist noch heute – rein gar nichts mehr von der Frau übrig, die wir kannten.«
    »Was soll das heißen?«
    »Sie ist leer. Was wir fanden, lebt und atmet, mehr nicht. Sie ist eine Hülse. Dutzende der renommiertesten Ärzte haben sie im Lauf der Jahre untersucht, aber keiner konnte ihr helfen. Es scheint, als wäre ihr Innenleben … ihre ganze Persönlichkeit … aus ihr hinausgeblasen worden wie Eidotter durch ein Loch in der Schale.« Eine Träne glitzerte in seinem Augenwinkel, und Theo war geschockt: Er hatte noch nie einen von diesen Leuten weinen oder auch nur mit den Tränen kämpfen sehen. »Es wäre viel besser, wenn sie gestorben wäre. Dann hätten wir sie dem Brunnen übergeben, um sie trauern und unser gewohntes Leben fortsetzen können. So ist sie ein wandelnder Leichnam in einer Heilanstalt für Geisteskranke außerhalb der Stadt. Ich gehe sie ein paarmal im Jahr besuchen. Früher ging ich öfter – erfüllt von den besten Absichten, ihr vorzulesen, ihr Neuigkeiten aus der Familie zu erzählen, ihr Lieder aus unserer Kinderzeit vorzusingen. Sie muß irgendwo in dieser Hülse sein, sagte ich mir, die hübsche, freundliche kleine Erephine, die du kanntest. Jetzt besuche ich sie nur noch an Feiertagen und kann es nicht erwarten, wieder zu gehen. Ich lese ihr keine Geschichten vor. Ich singe keine Lieder.«
    Nach längerem Schweigen erhob sich Primel unvermittelt. »Aber das ist nicht deine Schuld, und mein Angriff auf dich war falsch und verblendet. Meine Leiden sind nicht die deinen. Ich hoffe, wir können Freunde sein, Junker Vilmos.«
    »Theo, schon vergessen? Ja, und … das mit deiner Schwester tut mir wirklich von Herzen leid.«
    »Danke.« Er blickte Theo und Wuschet an, legte zum Zeichen des Grußes einen langen Finger an sein Kinn und trat aus dem Zelt. Seine Augenwinkel glänzten immer noch ein wenig.
    »Puh!« sagte Theo nach einer Weile. »Und noch mal … puh!«
     

     
    I ch will dir nichts vormachen«, sagte Dreck Laus Knopf. »Wenn du gehst, wirst du dich in Gefahr begeben. Aber ich fürchte, wenn du hierbleibst, ist die Gefahr für dich noch größer.«
    Heute ist wirklich unser Besuchertag, dachte Theo. Zu seiner großen Überraschung hatte die wichtigste Persönlichkeit im ganzen Flüchtlingslager an der Wunderwehrbrücke sie allein in ihrem Zelt aufgesucht, sogar ohne Leibwächter. Er versteht sich auf Bürgernähe, das muß man ihm lassen. »Du willst, daß wir hier weggehen?« fragte er.
    »Nein, du verstehst mich falsch.« Der Goblin saß weitaus ungezwungener auf dem Erdfußboden als ihr voriger Besucher. »Nur für morgen. Gewisse Stimmen haben mit mir gesprochen

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