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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Grenze von Abendstund nach Nachtstund hinein. Vielleicht lag es nur an Theos Stimmung nach der Szene mit den Schutzleuten, aber trotz des klaren, überwiegend sonnigen Wetters kamen ihm die Bezirke der Innenstadt grau und kalt vor. Die Straßen waren weniger belebt, als er sie in Erinnerung hatte – auf seiner Fahrt mit Wuschel, Zirus und Apfelgriebs zur Nieswurz-Residenz hatte dieser Stadtteil vor Leben pulsiert, selbst bei Nacht. Diese Fahrt schien jetzt Jahre her zu sein, und das nicht nur, weil seitdem so viel geschehen war. Die Bürgersteige in Nachtstund waren so gut wie leer und die auf Busse wartenden Elfen tief in ihren Mänteln vergraben, wie um sich vor prüfenden Blicken zu verstecken. Die Fußgänger schritten hastig aus und schienen die anderen Leute, die mit ihnen auf dem Bürgersteig gingen, gar nicht wahrzunehmen. Nur wenige Leuchtreklamen brannten matt. Theo fröstelte. Er wünschte, er hätte seine Lederjacke wieder statt des dünnen Elfenfähnchens, das er anhatte. Andererseits wäre er mit seiner alten Jacke sicher mehr aufgefallen, und das wollte er um keinen Preis.
    Als sie um eine Ecke in eine hohe Gebäudeschlucht einbogen, erspähte Theo in der Ferne plötzlich die markante Silhouette der Nieswurz-Residenz mit ihren Hunderten von Fenstern, die wie Fliegenstippel auf der sahnefarbigen Fassade wirkten. Er konnte den Blick nicht davon abwenden, obwohl er das unangenehme Gefühl hatte, daß die Fenster verschattete Augen waren, die ihn ihrerseits beobachteten. »Sie sind alle dunkel«, sagte er. »Sieht verlassen aus.«
    Wuschel Segge sah auf und wußte sofort, wovon Theo redete. »Irgendwelche speziellen Jalousien«, vermutete er. »Sie führen Krieg, Theo. Die ganze Stadt ist im Kriegszustand.«
    Stracki ließ ein leises Stöhnen hören.
    Der Bus hielt an der Ecke Heckenallee und Lenzmarktstraße. Von den Fahrgästen, die ihre Befragung mit solchem Interesse verfolgt hatten, waren fast alle schon ausgestiegen. Niemand nahm von ihnen Notiz, als sie sich durch den Gang nach vorn zum Ausgang begaben.
    »Da drüben ist es«, sagte Wuschel und deutete auf ein niedriges, breites Gebäude am anderen Ende des Straßenzugs. »Alles in allem liegen wir ganz gut in der Zeit, aber trödeln dürfen wir trotzdem nicht.«
    Sie nahmen Stracki in die Mitte, der den Kopf hin- und herschraubte wie eine Aufziehpuppe, und gingen auf das Elyseum zu. Vor einem Spiegelkastengeschäft wenige Meter vom Eingang entfernt blieben sie stehen, um noch einmal Knopfs Anweisungen durchzugehen. Im Schaufenster waren reihenweise glänzende Spiegelkästen ausgestellt, auf denen allen dieselben Szenen liefen: ernste Gesichter im Parlament der Blüten, Schüsse von bewaffneten Schutzleuten auf den Straßen und einmal eine Ansicht der rauchenden Trümmer der Narzissen-Residenz. Theo wandte sich ab.
    »… Das heißt, selbst wenn wir ihn sehen, beachten wir ihn nicht, klar?« sagte Wuschel gerade.
    »Klar. Wir tun so, als würden wir ihn gar nicht kennen.« Theo schaute Stracki an, der die antikisierende Fassade des Elyseums emporstarrte und dabei die Lippen bewegte, als betete er. »Aber ich verstehe immer noch nicht, was wir da drin machen sollen.«
    »Nichts.« Wuschel schüttelte den Kopf. »Jedenfalls von dem Punkt an, wo wir den ersten Antrag gestellt haben, wie Knopf sagte. Wir sind hauptsächlich wegen Stracki hier, damit er hineinkommt, tun kann, was er tun muß, und dann wieder nach Hause findet.«
    »Sollen wir uns vielleicht darauf verlassen, daß er selbst weiß, was er zu tun hat? Und es hinkriegt, ohne Aufmerksamkeit zu erregen? Schau ihn dir doch mal an!«
    »Schon, aber wenn ich es richtig verstanden habe, macht er das nicht zum erstenmal. Und jetzt komm, Theo, bevor ich den Mut verliere.«
    Die große Halle des Elyseums war die ebenso perfekte wie bizarre Nachbildung eines Hains in vielfarbigen Edel- und Halbedelsteinen. Der Himmel – in Wahrheit das Innere der Kuppel – schien ein Mosaik aus reinem Lapislazuli zu sein, groß wie ein Fußballfeld, mit perlweißen Wolken. Die Baumsäulen hatten rauhe Rinden in verschiedenen Braun- und Silbertönen; eine in Eingangsnähe klang wie ein Glockenspiel, als Theo mit den Knöcheln daran pochte. Ein schmerbäuchiger Wächter warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, und Theo steckte rasch wieder die Hände in die Taschen. Selbst die Vögel waren naturgetreue Imitationen mit Federn aus Jade, Alabaster und polierten Korallen – aber sie sangen und bewegten sich nicht. Auch die

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