Der Blumenkrieg
vielen Elfen, die in der weitläufigen Halle durcheinanderwuselten, sangen nicht. Sie standen an den kleinen runden Pulten, die über den riesigen Raum verstreut waren wie aus den Grasmusterfliesen sprießende flache Pilze, und füllten Formulare aus, oder sie warteten in langen Schlangen, um mit einem der Elyseumsbeamten zu sprechen, die hinter einer geschlossenen Glasfront saßen und aussahen wie Fliegen im Bernstein. Wenn er diese bunte Mischung von Gestalten einige Wochen vorher gesehen hätte, als er hier noch neu war, hätte Theo sicher über die gehörnten Kornböcke und die winzigen, aber würdevollen Gnome gestaunt. Jetzt aber betrachtete er sie mit erfahreneren Augen und sah nichts weiter als eine Schar bedrückter und verängstigter Wesen. Umgeben von steinernen Vögeln und diamantharten Blumen verspürte Theo einen Moment lang eine Sehnsucht nach Orten, die er niemals gesehen hatte, den ursprünglichen Wäldern Elfiens, die von dieser künstlichen Riesengrotte so sorgfältig und doch leblos nachgeahmt wurden.
»Da drüben sind ein paar Antragsapparate«, flüsterte Wuschel und zeigte auf eine Stelle an der Wand zwischen zwei marmornen Birken. »Das ist die kürzeste Schlange, die ich sehe.«
»Aber müssen wir nicht auf Kleiderhaken warten?«
»Wir müssen bereit sein, wenn er hier eintrifft, und wer weiß, wie lange es dauert, bis wir ganz vorne stehen?« Wuschel deutete auf die mächtige Sonnenuhr, die wider alle Vernunft so an der Wand angebracht war, daß kein Sonnenlicht darauf fiel, und die dennoch einen deutlichen Schattenzeiger vorzuweisen hatte, der in seinem Lauf über das Zifferblatt mittlerweile beinahe senkrecht stand. »Er wird um Punkt zwölf hier sein. Komm!«
Sie stellten sich hinter einer opossumartig aussehenden Frau an, die eine Schar von bestimmt zwanzig Kindern mit sich herumtrug, in ihren Jackentaschen, auf den Schultern und eines sogar in ihrer Einkaufstasche, die sie neben sich absetzte, wenn sie wieder ein Stückchen vorgerückt war. Das kleine Opossumelfchen in der Tasche blickte Theo mit runden braunen Augen an, während es sich die Überreste von irgend etwas Klebrigem von seiner spitzen Schnauze schleckte.
Endlich standen sie an der Spitze der Schlange. Stracki hatte wieder die Augen geschlossen und redete mit sich selbst, und dabei zuckten seine Finger, als dirigierte er ein unsichtbares Orchester. Wuschel Segge trat an den Apparat. Theo hätte das Ding niemals als Apparat erkannt, wenn Wuschel es ihm nicht gesagt hätte: Es hatte die Form eines großen, sehr echt aussehenden Steins, eines aufrecht stehenden Hinkelsteins, um genau zu sein, aus dem ungefähr in Brusthöhe ein großes Stück herausgebrochen war. Durch das Loch blickte man in das kristallverkleidete Innere, das einer Geode glich.
Wuschel legte seine Hände auf den Stein und beugte sich zu der glitzernden, facettierten Öffnung vor. »Antrag auf Einreiserlaubnis«, sagte er.
»Für?« fragte der Hinkelstein ihn mit ruhiger Tenorstimme.
»Besucher und Vieh.«
»Wieviel Stück Vieh?«
»Eins.«
»Wie viele Besucher?«
»Einer.«
»Heimatfeld des Besuchers …?«
Während Wuschel die Fragen beantwortete, schaute Theo sich um. Es konnte nicht lange dauern, bis sie mit ihrer Sache fertig waren und die nächste Person in der Warteschlange an den Apparat lassen mußten, und die Sonnenuhr an der Wand stand jetzt eindeutig auf zwölf, doch von Kleiderhaken war nirgends etwas zu sehen. Er wünschte, er wäre genauer über Knopfs Plan informiert worden.
»Bei den Ältesten Bäumen!« kreischte plötzlich jemand. »Was ist denn mit dem los?«
Erschrocken, weil er dachte, Stracki hätte wieder irgend etwas Verrücktes gemacht, wirbelte Theo herum, doch der lange, zottelige Elf lehnte nach wie vor neben dem Antragsapparat an der Wand. Alle übrigen hatten sich der Mitte der Halle zugedreht. Als Theo ihrem Beispiel folgte, sah er, wie etliche Elfen unterschiedlicher Art um eine braune Gestalt zusammenströmten, die zuckend am Boden lag. Rasch begriff er, was die Ursache der Unruhe war.
Während die anderen Leute in der Schlange dem Antragsapparat den Rücken zukehrten und den wild um sich schlagenden Goblin und die ihn umringende aufgeregte Schar beobachteten, packte Wuschel Stracki und zog ihn vor das glitzernde Geodengerät. Der geistesgestörte Elf ließ sich näher heranschieben, bis seine Handflächen auf dem Stein lagen, und auf einmal bewegten sich die Haare auf Strackis Kopf wie von einer unsichtbaren
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