Der Blumenkrieg
Schale und erwiderte stumm Theos Blick.
»Aber seiner Familie hast du nichts getan, denn sonst hätte er dich nach seinem Ehrenkodex töten müssen, so wie er es bei mir glaubte.« Er überlegte. »Und genausowenig bist du einfach abgehauen oder hast aufrührerische Plakate geklebt oder so was, weil du von ›fliehen‹ gesprochen hast und davon, daß er gegen seine Grundsätze verstieß. Du mußt also etwas wirklich Schlimmes getan haben.« Theo fiel es mit einemmal schwer, dem Blick der gelben Schlitzaugen standzuhalten. »Hast du … jemanden getötet? Einen von den Oberelfen?«
Knopfs überaus spitze Zähne erschienen wieder. »Du bist schon praktisch selbst ein Goblin, Theo Vilmos. Du hast das Loch in der Geschichte geschlossen. Mehr Tee?«
»Warte. Ich helfe dir, weil … weil es so aussieht, als ob du etwas Richtiges tun wolltest. Aber ich glaube, in diesem Punkt muß ich Bescheid wissen.« Er schaute zu den Leibwächtern hinüber, die ihr Krafttraining beendet hatten und ihn jetzt mit ruhigem, aber dennoch wachem Interesse beobachteten, als könnten sie durch den Raum hinweg seine Anspannung fühlen. »Was geschah?«
»Nichts Überraschendes, wenn man sich meine gewandelte Einstellung vor Augen führt. Ich war auf der Straße, wartete auf den Bus. Eine ganz alltägliche Sache. Und unmittelbar vor mir begann ein Elf, einen Goblin zu prügeln, einen Gepäckträger, der, ähem, eines seiner Pakete fallen gelassen hatte. Ich weiß bis heute nicht, wie der arme Gepäckträger hieß, und ich fürchte, er mußte teuer dafür bezahlen. Vermutlich ging die Polizei hinterher davon aus, daß er mich kannte, doch in Wahrheit war ich ein Fremder für ihn. Ja, vielleicht geschah es gerade deswegen, weil er ein Fremder für mich war. Während der Mann, der der Hortensiensippe angehörte, wie ich erst später erfuhr, ihn mit einem schweren Spazierstock niederknüppelte, bis er nicht mehr aufstehen konnte, und dann weiter auf ihn eintrat und einschlug, wurde aus dieser zusammengeduckten, wimmernden Gestalt jeder einzelne Goblin, den ich kannte: ich selbst, mein Vater, der in einer billigen Abendschule Kurse belegte, um zu lernen, wie er sich zum Wohlgefallen seiner elfischen Herren vornehm ausdrückte, meine Brüder und Schwestern, die zu sechst in einem Zimmer in irgendwelchen Bruchbuden lebten und sie trotz allem weiterhin ›Nester‹ nannten, als ob der Name sie dazu hätte machen können, und die ganzen namenlosen Leichen in den Kalkgruben von Weide. Für mich wurde er zu uns allen, und sein selbsternannter Herr wurde zum Vertreter des gesamten Blumenadels, der sich nicht damit zufriedengab, uns unsere Länder und unsere Wälder wegzunehmen, sondern uns jetzt auch noch wie Ungeziefer vernichten mußte.
Daher nämlich kommt mein anderer Name, Theo, der Name, den ich bisher verborgen hielt. Wir verbergen sie, weil es bewußt gewählte Namen der Schande sind. Sie erinnern uns jeden Tag daran, daß wir, ähem, niedrig und unterdrückt sind. Weißt du, wie mein letzter freier Vorfahre hieß? Strahlestein Fuchs. Als die Blumen uns niederwarfen, nahmen sie uns sogar unsere Namen weg, und diejenigen von uns, die in ihren Häusern arbeiteten, benannten sie nach kleinen, wertlosen Sachen, belanglosen Gegenständen. Die Namen aber, die wir uns insgeheim selbst gaben, Wurm, Wanze, Aas, Schmutzfleck, sie sind unser Erbe der Verzweiflung … und vielleicht auch der Stärke. Laus! In den Augen der Blumenfürsten bin ich eine Laus, ein verächtliches Krabbelding, doch an dem Tag damals machten sie die Erfahrung, daß selbst das verächtlichste Geschöpf beißen kann.«
Zorn stieg von ihm auf wie ein Hitzeschleier – wenn Theo genau hinschaute, konnte er ihn beinahe sehen. Paradoxerweise wurde Knopf, je mehr er redete, immer ruhiger, als zöge er sich in einen inneren Raum zurück, zu dem Theo keinen Zugang hatte. »Ich konnte einfach nicht länger zusehen. Ich fiel der Bestie aus dem Hortensiengeschlecht in den Arm, einstweilen nur in der Absicht, die Schläge mit dem eigenen Körper abzufangen und damit dem Gepäckträger die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Der aber konnte vor lauter gebrochenen Knochen nicht aufstehen, und so richtete der hochwohlgeborene Elf seine Aufmerksamkeit jetzt auf mich. Mein Einschreiten verblüffte ihn, doch aus Verblüffung wurde rasch Wut, und er versetzte mir mit dem Stock einen Hieb und verletzte mich an der Kehle. Die Verletzung behindert mich noch heute beim Sprechen. Doch dieser erste
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