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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schon lange leer, und im ersten Anflug von Frühlicht am Himmel konnte Theo gemalte Wandreklamen erkennen, unter deren abblätternder Farbe zum Teil ältere Werbeanstriche zutage traten. Sie waren nahe genug am Ufer, daß er einige sogar entziffern konnte. Triton Transozeania verkündete eines, geschmückt mit der verwaschenen, ziemlich furchterregenden Abbildung einer menschenähnlichen Gestalt mit einem fischartigen Unterleib, die eine Krone auf dem Kopf und ein Füllhorn mit Fischen und Muscheln in der Hand hatte: Königlich-elfischer Hoflieferant von allerlei Früchten des Ys.
    Auf einmal platschte es im Wasser, und Theo sah Kleiderhaken an, verdutzt darüber, daß dieser auf einmal so ungeschickt paddelte, doch der Goblin seinerseits sah ihn an, als ob Theo das Geräusch gemacht hätte. Da fiel sein Blick auf eine Bewegung im dunklen Wasser neben dem Boot, ein schwaches blaugrünes Gefunkel dicht unter der Oberfläche. Im ersten Moment hielt er es für einen Zug leuchtender Fische, doch wenn es welche waren, bewegten sie sich völlig anders als alle Fischschwärme, die er je in Natursendungen im Fernsehen gesehen hatte. Fasziniert beobachtete er, wie der gestalthafte Schimmer direkt unter ihm höher stieg, doch es dauerte noch ein paar Sekunden, bevor er erkannte, daß er auf eine menschenartige Figur schaute, die mit mühelosen Bewegungen neben ihnen herschwamm. Sie wandte ihm das Gesicht zu, das jetzt unmittelbar unter der Oberfläche leuchtete wie das Zifferblatt einer Uhr. Die Augen begegneten seinen – Frauenaugen, wie er jetzt sah, doch riesengroß im Vergleich zum Rest des schmalen Gesichts. Bei aller Fremdartigkeit war es doch ein sehr schönes Gesicht. Die eindringlich schauenden Augen waren schwarz, so schwarz … schwärzer als selbst das Wasser, und sie schienen immer größer zu werden. Er lehnte sich über den Rand. Größer … und größer …
    Statt kopfüber in das lockende Dunkel zu stürzen, wurde er so abrupt ins Boot zurückgerissen, daß die Luft aus seinen Lungen schoß und er beim Fallen mit dem Kopf an den hinteren Bootsrand knallte. Das ganze Gefährt schaukelte beängstigend, als er sich wieder auf die Sitzbank hievte. Von Kleiderhakens energischem Krallengriff tat ihm der Arm weh, obwohl der Goblin bereits losgelassen hatte. Wuschel hatte sich nicht bewegt, doch er machte große, erschrockene Augen. Theo sah seine Gefährten an und dann wieder die glitzernde Gestalt im Wasser. Sie hatte ihr Tempo verringert, und der Abstand des Bootes zu ihr wurde größer. Die hageren, raubtierartigen Züge sahen schon nicht mehr so menschlich aus. Er meinte, eine gewisse Enttäuschung von ihr ausgehen zu fühlen, die auch, als die Schwimmerin in der Tiefe entschwunden war, in seinem Bewußtsein zurückblieb wie ein zarter Geruch.
    Theo zitterte und atmete schwer, so als ob er tatsächlich ins Wasser gezerrt worden wäre und um sein Leben hätte kämpfen müssen. Das Nymphenband umschloß sein Handgelenk heiß und fest, scheuerte an seiner Haut. Er nickte Kleiderhaken zu, um ihm zu zeigen, daß er dankbar war, daß er verstand. Jedenfalls meinte er zu verstehen. Er vermutete, daß das Wesen im Wasser viel mehr an ihm interessiert gewesen war als an seinen beiden Gefährten.
    Ein verflucht feiner Unterschied, dachte er, zwischen einer hilfreichen Erinnerung und dem sicheren Tod. Oder Schlimmerem.
    So ruhig und lautlos, wie Kleiderhaken paddelte, merkte Theo gar nicht gleich, daß der Goblin aufgehört und das Boot angehalten hatte. Sie trieben zwischen den Pfeilern eines Piers, doch obwohl dieser, soweit er sehen konnte, aus Holz war, ruhte er auf Säulen aus uraltem Stein, die im Flußnebel aufragten wie ein halb versunkenes Stonehenge. Eine nasse, vermodernde Holzleiter, die am vordersten Pfeiler befestigt war, führte durch eine Luke zum sich rötenden Morgenhimmel empor. Der Goblin strich sich mit der Hand über den Mund, um sie abermals zum Schweigen zu ermahnen, und deutete dann auf die Leiter. Nachdem Theo sich schwankend hingestellt hatte, hinübergetreten und ein Stück hochgestiegen war, so daß Wuschel ihm folgen konnte, machte Kleiderhaken ein weiteres Zeichen, das allerdings nicht zu deuten war. Dann wendete er das kleine Boot, und nach wenigen Herzschlägen war er in dem wallenden Dunst verschwunden. Theo sah mit weit aufgerissenen Augen zu Wuschel hinunter. Der Querz schien beinahe so bestürzt zu sein wie er, zuckte aber nur die Achseln. Vielleicht hatte er gewußt, daß Kleiderhaken

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