Der Blumenkrieg

konnte damit gerade seine eigenen Beine und Arme erkennen und die Ahnung einer senkrechten Fläche neben ihm, die möglicherweise eine Wand war, doch die Dunkelheit dahinter erhellte es nicht. Das einzige, was er halbwegs sicher sehen konnte, war, daß der dunkle Teppichboden noch ein gutes Stück weiterging. Zudem stach ihm ein starker, unangenehm süßsaurer Gestank in die Nase, der erschreckend nach dem Scheusal roch, das ihn dreimal in drei verschiedenen verwesenden Leibern aufgespürt hatte, doch nach einer Weile erkannte er, daß dieser Geruch vielschichtiger war, eine Mischung, in der Verwesung zwar eine Komponente war, aber auch andere Dinge vorkamen wie fremdartige süßliche Gewürze und die kräftigen Essenzen natürlichen Wachstums, nasses Erdreich und Frühlingsgras im Streit mit brennendem Schwefel, Whisky, Zimt, Kot und anderen weniger deutlich erkennbaren Dingen, alle bunt durcheinandergewürfelt, bis einem die Augen tränten.
    Er hätte endlos darüber rätseln können, doch er durfte sich nicht damit aufhalten. Sein Herz hämmerte wie ein völlig überdrehter Click-Track, während er sich langsam durch den düsteren Raum schlich und das weitgehend unbrauchbare Spuklicht hierhin und dorthin schwenkte. Er streckte die Hand nach einer beleuchteten Stelle aus, die wie eine Wand aussah, und tastete zu seiner Erleichterung etwas Kühles, Hartes und geringfügig Feuchtes. Er schob einen Fuß vor und merkte, daß der feste Untergrund weiterging. Er bückte sich, wobei er die Kugel auf der Höhe seiner Schuhkappen hielt, und auf einmal wurde es heller im Flur.
    »Theo …?«
    »Pssst!«
    Es ging rasch, aber nicht schlagartig, und hatte nicht das geringste mit dem Spuklicht in seiner Hand zu tun. Sehr bald schon konnte er erkennen, daß sie an einem Ende eines langen Ganges mit mattschwarzen Wänden zu beiden Seiten standen und einen Teppich im gleichen Farbton unter den Füßen hatten. Am anderen Ende war eine Tür, die irgendwie selbst zu leuchten schien und auf der ein golden glänzendes Namensschild prangte.
    Wessen Name da wohl draufstehen mag? Doch das war nur ein winziges Fünkchen Neugier inmitten des schwärzesten Grauens, ein kleiner Vogel, der dicht vor einer Gewitterwand herflog. Er schaute Wuschel an. Wuschel schaute zurück. Es war Theo ziemlich klar, daß keiner widersprechen würde, falls der andere vorschlug, einfach umzudrehen, statt den langen schwarzen Flur hinunter zu dieser Tür zu gehen.
    Apfelgriebs, erinnerte er sich. Apfelgriebs damals mit dem Korkenzieher. Wie sie gegen dieses Scheusal gekämpft hat, um einem zu helfen, den sie gar nicht kannte.
    Trotz des Teppichs, der den Schall ihrer Schritte fast gänzlich schluckte, hatte Theo, je näher sie der Tür kamen, immer mehr das Gefühl, daß sie in steinernen Schuhen über Luftpolsterfolie stampften: Jeder Schritt war unerträglich laut. Die heftigen Gerüche berauschten ihn leicht, doch statt seine Unsicherheit abzubauen, hatte das zur Folge, daß er sich wie ein schwer bekiffter, paranoider Jugendlicher fühlte, der vor einer roten Ampel neben einem Polizeiauto stand.
    Auf dem Namensschild war das Wort »Herein« in einer plumpen, beinahe kindlichen Handschrift eingeritzt. Während er darauf schaute, floß das Wort von dem goldenen Rechteck herunter wie Wasser, und gleich darauf erschien an seiner Stelle das Wort »Drücken«.
    Macht sich da jemand einen Jux? Der Zorn verlieh ihm ein klein wenig Tapferkeit, auch wenn diese wie ein dünnes Seil über einen klaffenden Abgrund nackter Angst gespannt war. Er stieß die Tür auf und trat ein.
    Der Raum dahinter war nach dem kahlen Flur vollkommen unerwartet. Zu allen Seiten türmten sich Tausende von rätselhaften und anscheinend wahllos durcheinandergeworfenen Dingen zu meterhohen Bergen auf, so daß man den Eindruck hatte, jemand hätte in großer Hast eine altmodische Apotheke mit einer besonders abartigen Spielwarenhandlung zusammengekippt und dann den ganzen Plunder großzügig mit den Beständen der Bibliothek von Alexandria garniert. Rötliches Morgenlicht, das aus länglichen Fenstern hoch oben herabströmte, beleuchtete die Haufen und ließ das Ganze wie eine Bühnenkulisse oder eine Disneyland-Attraktion erscheinen.
    Vor Staunen und Verwirrung bemerkte Theo die mächtige Gestalt hinter ihm im Schatten erst, als sie ihm einen Arm um die Brust legte, so daß er sich nicht mehr bewegen konnte, und mit der anderen riesigen Pranke den Kopf festhielt. Der Arm über seinem Brustkorb