Der Blumenkrieg
nicht auf sie warten würde, doch es war merkwürdig, daß der Goblin nicht einmal davon gesprochen hatte, sie wieder abzuholen. Theo fühlte sich ein wenig verraten.
Was verlangst du denn? schalt er sich. Du bist nicht der Mittelpunkt seines Universums, und Knopfs auch nicht. Du wolltest dich unbedingt für deine Freundin abmurksen lassen. Da haben sie dich hingebracht. Jetzt bist du auf dich allein gestellt.
Er kletterte die Leiter hoch und mußte oben seinen ganzen Mut zusammennehmen, um den Kopf durch die offene Luke zu stecken. Der Steg aus verwitterten Bohlen war leer und die Speicherfront vor ihnen kahl, eine lange Wand aus salzfleckigen Brettern, an denen nur noch spärliche Reste des ursprünglichen weißen Anstrichs klebten. Er wollte Wuschel fragen, wie es sein konnte, daß diese abgewrackte Scheune das Hauptquartier eines der gefährlichsten Männer in ganz Elfien darstellte, doch falls die knarrende Leiter den Bewohnern nicht bereits mitgeteilt hatte, daß da draußen jemand war, wollte er das nicht an ihrer Stelle tun.
Der Querz kam hinter ihm hoch und duckte sich. Gemeinsam lauschten sie den unter ihnen an die Pfeiler klatschenden Wellen, den Schreien der Seevögel und einer fernen Stimme, die sich einen Moment lang fremdartig tremolierend mit einem kurzen Liedfetzen über die anderen Geräusche erhob. Theo holte tief Luft, stand auf und schritt dann den Steg hinunter zur wasserabgewandten Seite des Gebäudes. Sie befanden sich am Ende einer langen steinernen Mole, die wenigstens hundert Meter weit in die Mondflut hinausragte, ein kurzes Stück vor der Mündung in den Ys. Eine Zeile baufälliger Gebäude in den verschiedensten Formen und Größen zog sich die ganze Mole entlang wie ein verrückter Zirkuszug, der gerade noch zum Stehen gekommen war, ehe er ins Wasser rollte. Doch falls das Gebäude, in das sie hineinwollten, die Lokomotive des Zuges sein sollte, dann war es für die Rolle schlecht gewählt, denn es war einfach ein karges Rechteck ohne erkennbare Fenster. Im frühmorgendlichen Licht ließen die hohen, nackten Wände es wie einen riesigen altertümlichen Steinblock erscheinen, den Unterbau eines antediluvianischen Tempels, in dem einst schreiende Opfer geschlachtet worden waren.
Ruhig Blut! ermahnte sich Theo. Mach es nicht schlimmer, als es ist. Aber die fensterlosen Wände machten ihn beklommen. Wer lebte so? Wer baute sich einen solchen langen Kasten am Ende einer Mole und ließ keine Öffnungen für die Meeresbrise, keinen Blick auf die Flußmündung und die See? Plötzlich erschien ihm das Haus als etwas anderes, nicht als Tempel, überhaupt nicht als Bauwerk, sondern als der Panzer eines ungeheuer großen, eckigen Wesens.
Im Gegensatz zum übrigen Bau war die Tür an der Stirnseite ein ganz normales, kleines Ding aus windgeschmirgeltem Holz mit einer angelaufenen Bronzeklinke und sah aus, als ob jemand in den Sockel der Sphinx eine Rumpelkammer gebaut hätte. Theo schaute Wuschel an, der den Eindruck machte, beim ersten lauten Geräusch um sein Leben zu rennen – was Theo ihm nicht verübeln konnte. Im Gegenteil, ich käme sofort hinterher. Er griff mit zitternder Hand nach der Klinke. Verrückt, dachte er. Das ist ein Lagerhaus. Selbst wenn es voll von Monstern ist oder von Typen mit Gewehren oder … oder was weiß ich, ist es doch von außen bloß ein Lagerhaus, und ich bin kein Hellseher. Warum ist mir, als würde ich durch die Pforte des Hades treten?
Bevor er die Tür berühren konnte, schwang sie geräuschlos auf. Mit einem Schreckenslaut sprang Theo zurück, halb in der Erwartung, irgendein schleimiges, außerirdisches Wesen würde ein Tentakel aus der Finsternis strecken und ihn sich schnappen, doch nichts dergleichen geschah. Die Tür blieb offen. Die Finsternis dahinter blieb undurchdringlich.
Wer oder was da auch lauert, er, sie, es muß wissen, daß wir hier sind. Sinnlos, sich leise anzuschleichen. Trotzdem hatte er keine Lust, »Hallo!« zu rufen. »Haben wir ein Licht?« flüsterte er.
Wuschel, der außerstande war, die vorquellenden Augen von der dunklen Öffnung abzuwenden, schüttelte mehrmals den Kopf, bevor er begriff, was Theo gefragt hatte, und aus dem Kopfschütteln ein Nicken wurde. Er nestelte ein ähnliches kleines, rundes Spuklicht hervor wie seinerzeit in der Tiefgarage und strich mit dem Daumen darüber. Es glomm trübe auf, und er gab es Theo.
Als Theo durch die Tür trat, bemerkte er als erstes, daß das Licht nicht sehr weit reichte: Er
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