Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
»Tritt vor. Jetzt dreh dich nach rechts. Siehst du die hölzerne Truhe dort?«
    Theo starrte auf den vordersten Haufen rätselhafter Gegenstände. Die schwarze Truhe war ungefähr dreißig, vierzig Zentimeter lang und fast genauso breit. »Ja, ich sehe sie.«
    »Öffne sie. Nur zu, hab keine Angst! Es ist nichts darin, das dir etwas tun könnte.«
    Vorsichtig nahm er die überraschend schwere Kiste in die Hand und machte langsam den Deckel auf. Im Innern lag auf dunkelgrauem Samt der steinerne Kopf einer Frau, deren weißem Marmorgesicht ein Ausdruck des Friedens und der Ruhe gegeben worden war. Wer das Modell auch gewesen war, ihre Schönheit war überirdisch. »Ich verstehe ni…«
    Die steinernen Augen öffneten sich. Der Mund klappte sperrangelweit auf, das ganze Gesicht verzerrte sich zu einem Bild des Grauens und fing an zu schreien. Vor Schreck ließ Theo die Kiste auf den Boden fallen, wo sie mit offenem Deckel seitlich liegenblieb. Das Schreien wurde lauter.
    »Zumachen!« brüllte Dowd. »Mach den Deckel zu!«
    Es war einer der furchtbarsten Töne, die Theo je gehört hatte, ein endlos gellender Schrei blanken Entsetzens. Er hielt sich die Ohren zu, den Tränen nahe, und schließlich gelang es ihm, die Ebenholzkiste mit dem Fuß zu schließen.
    »Sie erwacht selten«, sagte Dowd mit Bestürzung in der Stimme. »Ich hätte nicht gedacht …«
    »Jesses, was hast du mit ihr gemacht?«
    »Nichts, jedenfalls nicht mit Absicht. Aus irgendeinem Grund betäubte der Zauber, mit dem ich sie besänftigen wollte, nur ihren Körper. Bei dem Versuch, die wirkliche Erephine wieder ans Licht zu holen, zog ich ihre Essenz heraus, konnte sie ihr aber nicht wieder einfügen. Schau mich nicht so an! Ich habe getan, was ich konnte. Meinst du, ich hätte das gewollt?« Seine Stimme bebte. »Du verstehst nicht. Ihre Familie hatte uns bald aufgespürt, und ich mußte fliehen und konnte nur ihre Essenz mitnehmen. Anders als meine eigene sterbliche Hülle ist ihr Körper noch am Leben, doch er ist praktisch leer. Ihre Familie hat die Hülse, denn mehr ist es nicht, in ein Sanatorium außerhalb der Stadt eingeliefert, aber sie, die wirkliche, die wahre Erephine, ist hier bei mir.« Er war eine Weile still, als ob er in einer vorbereiteten Rede den Faden verloren hätte. »Ich habe sie gerettet«, erklärte er kleinlaut, »und eines Tages werde ich Körper und Seele wieder vereinigen …«
    »Du bist ein beschissenes Monster, weißt du das? Sie gerettet? Du hast sie in den Wahnsinn getrieben, und dann hast du ihre Seele genommen und in irgendeiner Skulptur eingeschlossen!«
    »Hör mich an, du verstehst das nicht …!«
    »Ich verstehe so viel, wie ich verstehen muß!« Theo schritt auf die Ecke zu, wo Dowd sich im Schatten verbarg. »Ist das die Hilfe, die du auch mir zugedacht hast? Vielen Dank, du Arschloch! Ich bin ein Idiot, daß ich brav hier stehe und dir zuhöre. Komm raus! Komm da hinten raus, oder ich hole dich!«
    »Bleib zurück, Junge!« Dowds Stimme erklomm hysterische Höhen. »Ich warne dich!«
    Theo konnte noch ein paar Schritte tun, dann hatte der Alraun ihn eingeholt. Er war allerdings dicht genug herangekommen, um etwas von dem entstellten Eamonn Dowd zu erkennen, der vor ihm in das tiefere Dunkel zurückwich wie eine Fledermaus mit gebrochenen Flügeln. Was er in dem kurzen Augenblick sah, war vollkommen unbegreiflich, ein Gebilde wie eine Masse aus Schleim und totem Laub und halb abgenagten Hühnerknochen, obwohl selbst das nicht die ganze Abnormität des Anblicks erklärte. Das Schlimmste jedoch, das ihn innehalten ließ, noch bevor die Hand des Wurzelsklaven seine Schulter packte, war der kurze Blick auf die schweißglänzende, zusammengeflickte Ruine von Dowds Gesicht, auf den unförmigen Knubbelkopf, an dem das einzig Menschenähnliche die Augen waren, weit aufgerissene Augen, aus denen Schreck und Leid und Scham sprachen. Theo konnte nicht anders, er fuhr mit einem Schrei des Abscheus zurück.
    »Ich habe dir gesagt, du sollst mir nicht zu nahe kommen«, kreischte Dowd. »Ich habe es dir gesagt! Ich sollte dich umbringen!«
    »Warum? Weil ich gesehen habe, was du selbst aus dir gemacht hast?«
    »S-s-selbst aus mir gemacht?« Dowd klang, als hätte er Atembeschwerden. »Wie kannst du s-so etwas sagen, Junge? Habe ich mich vielleicht selbst aus Elfien vertrieben? Habe ich mich selbst betrogen?«
    »O Gott. Ja, in gewisser Weise hast du das getan, verdammt noch mal.« Theo hatte den Punkt erreicht, wo ihm

Weitere Kostenlose Bücher