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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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zu.
    Anton Nieswurz gab dem Fahrer, der unsichtbar hinter der schwarzen Frontscheibe des Fahrgastraumes saß, mit einem Fingerschnalzen ein Zeichen, und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Die Außenfenster waren groß genug, daß Theo ein bißchen nach hinten und zu beiden Seiten hinausschauen konnte, auch wenn er vom Boden aus nicht viel mehr erkannte als grauen Himmel und Dächer. Er rutschte zu Wuschel hinüber, um auf dessen Atmung zu lauschen, und schob sich dann langsam zur Hecktür. Niemand schien im geringsten besorgt zu sein, er könnte die Tür aufbekommen und fliehen. Auch wenn das wahrscheinlich ein schlechtes Zeichen war, versuchte Theo, sich davon nicht entmutigen zu lassen. Ohne auf die Schmerzen an seinen gefesselten Händen zu achten, setzte er sich gerader hin und tastete hinter seinem Rücken nach der Türkante. Vielleicht konnte er den Griff mit dem Kopf aufdrücken und sich hinausfallen lassen, wenn sie aufging. Wenn er dann noch einen Fuß hinter Wuschels Fesseln hakte, konnte er sogar den Querz mitziehen. Abrollen, aufstehen, loslaufen. Schreien. In seinem gefesselten Zustand konnte er Wuschel nicht tragen, aber vielleicht kamen ihm die Nixen oder sonst jemand zur Hilfe. Ziemlich scheißunwahrscheinlich, was? Nicht gegen bewaffnete Blumenschützer. Dennoch tastete er weiter nach der Tür. Immer eins nach dem andern …
    Etwas biß ihn so heftig in die Handgelenke, daß ihm war, als bohrten sich tausend heiße Nadeln durch seine Haut. Er schrie auf.
    Die anderen erschraken, nur Anton Nieswurz hob gemächlich den Kopf. Wieder erschien das leblose Grinsen und verströmte ähnlich gute Laune wie eine Falte in einer Qualle. »Du solltest dich wirklich nicht bewegen, falls du es vermeiden kannst, Veilchen. Das macht die Annis böse. Sie ist eine Art Meergeist, kein Gehirn, nur Zähne und Reflexe – höchst unterhaltsame Reflexe, muß man sagen. Ich habe sie in eine Form gezüchtet, wo sie sich als Fessel verwenden läßt.«
    Es fühlte sich an, als ob durch die Adern in Theos Armen brennendes Gift nach oben stiege. Nur mit äußerster Selbstbeherrschung widerstand er dem Drang, die Dinger irgendwie zu zerhauen, sie sich abzukratzen, aber bei jeder Bewegung stach ihn der Nadelring wieder ins Fleisch. Er blieb so still liegen, wie er konnte, bis der Schmerz schließlich nachließ.
    Die Kutsche fuhr langsam; zuerst dachte Theo, sie müßten sich durch die kleineren Seitengassen im Hafenviertel manövrieren, doch als er ein wenig den Kopf reckte, sah er durch die Fenster, daß die Straßen breit und ungewöhnlich belebt waren mit Elfen aller Art, die sich in Scharen auf den Bürgersteigen und an den Kreuzungen drängten, große und kleine, geflügelte und ungeflügelte, wobei jedoch ein erstaunlich großer Teil langnasig und behaart war.
    Theo war nicht der einzige, dem das auffiel. Als die Kutsche jäh abbremste, stieß der junge Nieswurz ein ärgerliches Zischen aus. »Was ist da los?«
    Die Stimme des Fahrers ertönte. »Es sind ein Haufen Leute unterwegs, Herr. Ich kann nicht sehr schnell fahren.«
    »Was für Leute?« Anton Nieswurz spähte durch die dicken Scheiben. »Goblins? Sieht aus wie Massen von Goblins. Unruhestifter.«
    »Nicht nur Goblins, Herr.«
    »Überfahre sie, wenn es sein muß.«
    Der Chauffeur schien es damit nicht eilig zu haben, aber er setzte die Kutsche wieder in Bewegung. Theo hörte laute Rufe, und einige Leute bummerten auf die Kotflügel oder an die Türen, aber wirklich wütend und aufgebracht klang niemand. Es war merkwürdig: Alle schienen auf den Straßen zu sein, ohne genau zu wissen, warum – wie beim Mardi Gras, fand er, nur nicht so fröhlich. Doch als einige auch noch das Gesicht an die Fenster preßten und vergebens versuchten, durch die halbverspiegelten Scheiben hineinzuschauen, bekam das Ganze eine bedrohliche Note. Sehr besorgt machte ihn das nicht, im Gegenteil, er wünschte beinahe, der Chauffeur würde jemanden überfahren, damit die Menge richtig wild wurde, die Kutsche umkippte und Nieswurz und Rainfarn herauszerrte, und vor allem wünschte er natürlich, sie würden merken, daß Theo ein gefesselter Gefangener war, bevor sie die übrigen Insassen des Fahrzeugs in Stücke rissen.
    »Was wollen die alle?« fragte Rainfarn. Sein zusammengeflicktes Gesicht schien nicht mehr so recht zu halten, es wackelte und verrutschte vielleicht sogar ein wenig, obwohl das auch, dachte Theo, eine optische Täuschung durch die Art sein konnte, wie die künstliche

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