Der Blumenkrieg
Oberfläche das Licht reflektierte. Es war beklemmend, einerseits Rainfarns normale, eisig makellose Züge vor sich zu haben und andererseits darunter hin und wieder das rohe, zerfetzte Fleisch zu erblicken, doch selbst wenn das ganze Gesicht sich ablöste und auf den Teppichboden der Geländekutsche fiel, war Theo klar, daß ihm das nicht viel helfen würde.
»Warum hast du das getan?« fragte Theo ihn unvermittelt. »Du hast nicht nur mich verraten, du hast auch mitgeholfen, eine ganze Menge anderer zu verraten: die Narzissen, die Stockrosen, sie alle. Warum?«
Rainfarns instabile Züge wurden bleich und zornig, doch er sah Theo nicht in die Augen. »Sei still, du … Mensch!«
»Graf Rainfarn steht bei vielen in der Schuld.« Es war deutlich, daß Anton Nieswurz Rainfarn verhöhnte und eigentlich gar nicht mit Theo redete. »Und Loyalität ist nicht seine starke Seite.«
Wieder ertönte die Stimme des Fahrers. »Ähm, Entschuldigung, Herr, aber … nun, ich glaube, das solltest du dir anschauen. Es kommt auf sämtlichen Zuflüssen. Ich mache hinten bei dir den Spiegel an.«
Was Theo für ein dunkles Fenster zwischen ihrem Raum und dem Fahrer gehalten hatte, leuchtete auf, und eine Straßenszene erschien, die sich nicht sehr von der draußen unterschied. Eine Stimme sprach ruhig, aber mit einer gewissen Atemlosigkeit.
»… die unerwartete und bis jetzt unerklärliche Verlautbarung vor einer Stunde. Es ist den Verbrechern und ihrem Rädelsführer gelungen, die bizarre Mitteilung in sämtliche Spiegelströme und Zuflüsse einzuspeisen, getarnt als Notstandsmeldung des Ratsvorsitzenden Fürst Stechapfel. Unruhen auf den Straßen waren die Folge, die allerdings bisher gewaltfrei geblieben sind. Sprecher der führenden Häuser versichern der Öffentlichkeit, daß keine wirkliche Gefahr besteht, dennoch werden alle Bürger aufgefordert, sich so rasch wie möglich in ihre Häuser zu begeben. Das Parlament wird noch heute zu einer Notstandssitzung zusammentreten, um über eine frühere Sperrstunde und möglicherweise sogar die Wiedereinführung des Kriegsrechts zu beraten. Wir werden gleich in den Empfangssaal des Parlaments der Blüten umschalten, aber zuerst noch einmal diese … Verlautbarung…«
Das Bild wechselte, und anstelle der Massenszene erschien ein bekanntes Gesicht.
»Ich spreche zu meinem Volk und zu allen Elfen guten Willens.« Knopf trug wie immer ein unscheinbares Gewand aus grobem Stoff und saß im Schneidersitz vor einer Mauer, in der Theo bei näherem Hinschauen die Steine der Wunderwehrbrücke erkannte. »Ich heiße Dreck Laus Knopf. Ich bin ein Goblin. Jedes denkende Wesen, das für Freiheit und Gerechtigkeit ist, gehört zu meinem Stamm. Jeder, der versucht, andere dieser kostbaren Güter zu berauben, ist mein Feind.
Bewohner Elfiens, eure Herren sind Mörder. Viele von euch wissen das, auch wenn ihr euch fürchtet, das zuzugeben. Aber wußtet ihr auch das? Sie sind gescheitert. All ihre Unterdrückungsmaßnahmen, all ihre Diebstähle, all ihre Grausamkeiten haben nicht zu dem einzigen Ergebnis geführt, das ihre Verbrechen vergessen machen könnte: ein sicheres, geborgenes Leben für ganz Elfien. Ihre Zeit ist jetzt um. Ihr, die ihr mich hört, wißt, daß ich die Wahrheit sage.« Er nickte nachdrücklich, als hätte er soeben eine schwierige Frage beantwortet. »Meinem Goblinvolk habe ich noch etwas anderes zu sagen. Lange haben wir zugelassen, daß man uns mißhandelt, und zwar zum großen Teil deswegen, weil unsere geehrten Ahnen vor vielen Jahrhunderten mit ihrem heiligen Wort einen Vertrag besiegelten. Hätten sie in die Zukunft geblickt und gesehen, was die Blumenfürsten anrichten würden, so hätten sie dieses Wort selbstverständlich nicht gegeben. Aber sie taten es, und wir mußten für ihr Versprechen einen furchtbaren Preis bezahlen.«
Langsam und mit betont rituellem Gebaren nahm Knopf ein schlichtes schwarzes Bündel in die Hand und begann, es aufzuschlagen.
»Was macht der kleine Hautfresser da?« Anton Nieswurz klang richtiggehend verschreckt. »Warum nimmt ihn niemand fest, bringt ihn um? Wie hat er das Spiegelsystem unter seine Kontrolle bekommen?«
Knopf ergriff den verzierten Stock und hielt ihn den Tausenden und Abertausenden hin, die ihm zusahen. Als Primel ihn seinerzeit mitgebracht hatte, war Theo nahe genug gewesen, um ihn zu berühren, diesen Gegenstand, auf den jetzt fast aller Augen in Elfien gerichtet sein mußten. Er hatte sich zu dem Zeitpunkt gefragt, ob
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