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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Glühbirne der Terrassenbeleuchtung durchgebrannt war, konnte er sich nur schwer überwinden, die Taschenlampe aus der Küchenschublade zu holen und zur Hintertür hinauszutreten. Es war eines der wenigen Male in seinem Leben, daß er sich wünschte, eine Schußwaffe zu besitzen.
    Als er sich endlich vor die Tür gewagt hatte, waren die Töne verstummt. Mit angehaltenem Atem blieb er stehen und fragte sich, warum sein Herz vom Heulen eines verliebten Katers (denn was sollte es sonst sein?) bummerte wie die Rhythmusmaschine in einem Rave-Stück. Draußen herrschte jetzt vollkommene Stille – selbst die Grillen waren verstummt –, doch er konnte sich des irrationalen Gefühls nicht erwehren, in irgendeiner Weise bedroht worden zu sein, stärker als von dem kalten Etwas, das er früher am Tag in sich gespürt hatte.
    Theo schwenkte den Strahl der Taschenlampe über den Gartenzaun, über die sterbenden Blumenbeete, die er schon wieder zu gießen vergessen hatte, und leuchtete in das Gestrüpp unter der Ulme in der hinteren Ecke des Gartens. Keine spiegelnden Katzenaugen. Kein Anzeichen von irgend etwas. Eine Überreaktion, sagte er sich, und das erschien ihm auf jeden Fall logisch, auch wenn er sich nicht ganz davon überzeugen konnte. Wer oder was auch immer für das Geräusch verantwortlich war, hatte ihn kommen hören und war weggelaufen, so einfach war das.
    Doch die Erinnerung an den hungrigen, klagenden Ton hatte ihn auch eine halbe Stunde später noch nicht verlassen. Obwohl er hundemüde war, konnte er erst einschlafen, als er noch einmal aus dem Bett gestiegen war und das kleine Licht im Bad angeschaltet hatte. Das schwach im Dunkeln schimmernde Rechteck seiner offenen Schlafzimmertür wurde so zum Durchgang in ein leuchtendes Land jenseits der Träume.

 
6
Ein Schattengebilde
     
     
    I ch heiß nicht Stumpy, verdammte Scheiße!« sagte der Stadtstreicher, obwohl niemand da war, der ihn hören konnte.
    Er schob sich noch weiter nach hinten in die Ecke, wo der Müllcontainer ihn ein bißchen besser vor dem Wind schützen konnte, der vorne an der Einmündung der Gasse scharrte wie ein Hund, der sich unter einem Zaun durchwühlte.
    »Stumpy, pff! Das ist doch kein richtiger Name.« Er klopfte sich auf die Tasche. Vielleicht hatte er sich ja nur eingebildet, daß er die Flasche leergetrunken hatte, hoffte er, aber leider vergebens. »Verdammte Scheiße.«
    Das machte man nicht, daß man einem Mann den Namen wegnahm. Schlimm genug, daß sie ihm in diesem Scheißvietnam beide Beine und einen halben Arm weggenommen hatten, aber wenigstens hatten sie ihn damals bei seinem richtigen Namen gerufen und sogar noch einen Rang davorgesetzt, wie um ihn fester in der Welt zu verankern: Obergefreiter James Macomber Eggles. Die Jungs in seiner Einheit hatten ihn auch »Eagles« genannt, bevor eine Salve aus kurzer Distanz ihn von An Hoa in die Heimat zurückpustete. »Eagles« stand zwar nicht in Omas Familienbibel verzeichnet wie sein wirklicher Name und die Namen seiner ganzen Brüder und Schwestern, aber in seinen Ohren hatte es trotzdem ganz nett geklungen. Selbst als er die ersten Male in seinem Rollstuhl auf die Straße gefahren war und ein paar von den herumlungernden Bengeln auf dem Rasen vor dem Gericht ihm Stumpy Jim nachgerufen hatten, bloß um ihn zu ärgern, da hatten sie wenigstens noch einen Teil seines richtigen Namens gebraucht. Jetzt nannten sie ihn einfach Stumpy, den Stummel, und das machte ihn sauer, mordsmäßig sauer. Man konnte einem Mann die Beine und einen Arm wegnehmen, aber man nahm ihm nicht den Namen weg. Das machte man nicht.
    »Wo ist die Katze?« Er hatte sich ein bißchen mit einem mageren Katzenvieh angefreundet, das glücklich an den Resten herumnagte, die er ihm übrigließ, und sich wärmesuchend an ihn kuschelte, aber er hatte es seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. »Jetzt ist auch noch die Scheißkatze weg.« Es war nett gewesen, ein bißchen Gesellschaft zu haben. Er hoffte, sie kam wieder.
    Sehr viel wünschte er sich wirklich nicht vom Leben. Daß die Katze wiederkam. Einen zweiten Strumpf für seinen Unterarmstummel, weil es so scheißkalt wurde, wenn der Winter noch mal einfiel, und der Stummel ihm immer so weh tat, wenn der Nordwind vom See herüberwehte, der »Hawk«. Einen, der die Skateboardräder an seinem Karren reparierte, damit er wieder ordentlich über den Bürgersteig rollen konnte und nicht mehr auf einem alten Stück Karton herumrutschen mußte. Das war demütigend.

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