Der Blumenkrieg
Er war schließlich ein Veteran – ein Scheiß-Marine! Er sollte wenigstens Räder haben, verdammte Scheiße. Er wünschte sich doch wirklich nicht viel vom Leben. Und eine Flasche Brandy. Mußte gar nicht teuer sein, bloß einen Brandy, der ihm warm und weich durch die Kehle floß und die anderen Schmerzen abstellte. Er hatte keinen Brandy mehr gehabt, seit der Mann in dem teuren Mantel ihm vor zwei Weihnachten eine halbe Flasche geschenkt hatte, aber er hatte seitdem nicht aufgehört, daran zu denken. Dagegen konntest du das ganze gepanschte Zeug, das sich Wein schimpfte und wie Hustensaft schmeckte, in den Ausguß kippen.
Er durchwühlte den Haufen seiner Habseligkeiten nach dem neuen Plastikbeutel, den er gefunden hatte, schönes dickes Plastik aus einem schicken Bekleidungsgeschäft im besseren Teil der Stadt, nicht so ein mistiger Supermarktbeutel, der schon vorher an den Nähten aufgeplatzt war. Er hatte vor, in diesen schönen neuen Beutel ein Loch zu beißen, durch das er den Kopf stecken konnte, und ihn nachts gegen die Kälte um Hals und Mund zu tragen. Das konnte, dachte er, wie eines von diesen Kragendingern der Astronauten aussehen, die Ringe, wo sie ihre Helme dran anschraubten, und er dachte kurz darüber nach, wie es wohl wäre, im Winter nachts in einem Astronautenanzug zu schlafen, mit einem kleinen Fenster vor dem Gesicht, das er zumachen konnte, damit die Wärme drin blieb, bis die Morgensonne die Bürgersteige wieder ein wenig erwärmt hatte.
Katze, Strumpf, Skateboardräder, eine Flasche Brandy und ein scheiß Astronautenanzug …
Etwas winselte leise in dem Haufen Unrat am Ende der Gasse. Der Mann, der einst der Obergefreite James M. Eggles gewesen war, zuckte zusammen.
»Katze? Bist du das?« Aber es klang nicht nach einer Katze. Der Ton war zu voll, zu rauh.
Irgendwer hat da eine Leiche abgeladen, aber die arme Sau ist noch nicht ganz tot, war sein nächster Gedanke. Der Müllhaufen ruckte, hob sich, senkte sich wieder. Das Winseln wurde lauter.
Scheiße, nein, es ist bloß so ein elender Junkie, der in meine Gasse gekotzt hat und dabei eingeschlafen ist. Kein Respekt.
Er stemmte sich mit seinem guten Arm hoch und drohte dem wackelnden Haufen aus Karton und zerfetzten Kunststoffverpackungen mit seinem Stumpf. »Sieh zu, daß du da rauskommst!« Seine Stimme war ein bißchen zittriger, als ihm lieb war. »Das hier ist der Schlafplatz von ’nem anständigen Menschen. Das ist mein Platz.« Aber wenn es nun gar kein ausgemergelter, knochiger kleiner Junkie war? Wenn es ein richtig übler Kunde war, irgend so ein mit Engelsstaub zugedröhnter Kerl, der jetzt vollkommen durchgeknallt aufwachte, Arme und Gesicht von den eigenen Fingernägeln blutig gekratzt, die Muskeln zuckend wie lebendige Schlangen? Oder wenn es überhaupt kein Mensch war? Vielleicht ein großer Köter, einer von diesen Pitbulls, der von einer tollwütigen Ratte gebissen worden war oder so was. Vielleicht kommt er gleich mit Schaum vorm Maul und ganz roten Augen aus diesem Müllhaufen raus …
»Ich hab ein Messer, du da«, log er. Trotz seiner Angst vergaß er nicht, das noch auf seine Wunschliste zu setzen, gleich nach dem Astronautenanzug. »Zwing mich nicht, dich abzustechen, hörst du? Ich will keinen Ärger, aber wenn du’s drauf anlegst, bist du selbst schuld!«
Der Auslöser der Unruhe rappelte sich langsam im Mondschein auf, ein zum Leben erwachtes groteskes Schattengebilde aus flatternden Fetzen und Teilen. Sein erster Gedanke war, daß der Müllcontainer ihn besser schützen mußte, als ihm klar war, denn wenn die Papiertüten und Fast-food-Kartons dem anderen Mann so fest am ganzen Leib haften blieben, daß man kein Fitzelchen Haut oder Kleidung von ihm sah, mußte der Wind vom See richtig stark blasen.
Die Gestalt machte einen Ruck und taumelte einen Schritt in seine Richtung.
»Verdammte Scheiße!« rief er schrill. »Denk an mein Messer, ich hab dich gewarnt! Bleib mir vom Hals!«
Doch als sich die Gestalt voll zu ihm umdrehte – merkwürdig langsam, als hätte sie ihn gar nicht gehört, sondern ihn nur irgendwie gewittert, ihn gefühlt oder gerochen –, da begriff er zu seinem Entsetzen, daß sie deswegen so seltsam aussah, weil unter dem Wust zusammengeknüllter Tüten und zerrissener Zeitungen gar kein Körper war, daß sich hinter dem Papiermüll kein psychopathisches Junkiegesicht verbarg. Die zerknitterte, fettbeschmierte Maske war das Gesicht, das letzte Gesicht, das er im Leben sehen
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