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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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vor ihnen, ein dichter Teppich belaubter Wipfel, der unerwartet aus den Tiefen aufstieg und in einem Ring gewaltiger Bäume in der Mitte des Tales endete, Bäume, die mehr als doppelt so hoch wie die anderen waren. Im Innern dieses Ringes sah er etwas glänzen, einen matten, an altes Silber erinnernden Schein, doch da hatte die Kutsche die Erhebung überquert, und es ging wieder nach unten; gleich darauf waren sie aufs neue vom tiefen Wald umfangen. Die Bäume ringsherum waren jetzt höher, mächtige, rindenumschlossene Zylinder, deren unterste Äste hoch über der Kutsche abgingen, so daß Theo sich fragte, wie groß dann erst die Bäume im mittleren Ring sein mußten – Riesen. Das Licht war hier trüb, und doch schien es auf merkwürdige Weise zu hell, wie die langen, schrägen Strahlen der Sonne kurz vor ihrem Untergang. Selbst durch seinen eigenen Nebel der Benommenheit und Verzweiflung erkannte er, daß er an einen ganz besonderen Ort gekommen war, nicht nur was das Licht betraf: Auch der Lärm der Motoren klang unnatürlich gedämpft, und gleichzeitig drangen leise Geräusche wie der durch die Bäume streichende Wind selbst durch die bombensicheren Blasenscheiben. Sogar die Luft, die er atmete, war dünner als normal und regelrecht berauschend. Das alles trug dazu bei, daß er sich zunehmend desorientiert fühlte, ganz als ob die Wirklichkeit selbst um ihn herum gerann, die Zeit sich verlangsamte, alles immer zäher wurde …
    Ja, es wird zäher, es wird … wie hat Apfelgriebs das noch mal ausgedrückt? Er mußte eine Weile sein ausgelaugtes Gehirn durchstöbern, bis ihm die Worte wieder einfielen. Kompakt. Ganz Elfien verdichtet sich hier. Es gibt einfach … mehr von allem.
    Alle schwiegen, während der Konvoi sich durch den grauverhangenen, von Strahlen durchstochenen Wald bewegte, Nieswurz und sein monströses Stiefkind vielleicht versunken in Träumen von zukünftigen Ereignissen, Rainfarn nervös und anscheinend weiterhin Schmerzen leidend. Nur Apfelgriebs hatte etwas zu sagen; sie kroch ganz dicht an sein Ohr und wisperte: »Sei tapfer, Theo!« Selbst wenn er hätte reden können, hätte er darauf keine Antwort gewußt.
    Schließlich wurde die Panzerkutsche langsamer und hielt an. Sie schienen am Rand der Welt zu stehen, und es dauerte eine Weile, bis Theo erkannte, daß er nicht auf irgendein interdimensionales Nichts starrte, sondern auf die silbrige Weite eines stillen, nebelverschleierten Sees.
    »Steig aus!« befahl Nieswurz.
    Er war ein Gefangener in seinem eigenen unbeholfenen Körper; ihm blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Außerhalb der schützenden Blase der Kutsche war alles noch viel seltsamer. Er hatte oft von einer Stille gehört oder gelesen, die greifbar war und so dicht, daß man sie mit dem Messer schneiden konnte, aber dies war jetzt das erste Mal, daß er so etwas wirklich erlebte. Die Lautlosigkeit war schwer, fast erdrückend, so als ob die ganze Welt den Atem anhielte.
    Er war nicht der einzige, der überwältigt war. Die beiden Oger warfen beim Aussteigen nicht einmal einen flüchtigen Blick auf ihn, sondern wie Touristen in der Großstadt legten sie die Köpfe in den Nacken und starrten den ungeheuren Ring der den See umgebenden Bäume an. Theo tat unwillkürlich das gleiche. Die Bäume waren genauso gewaltig, wie sie aus der Ferne ausgesehen hatten, breit und massig wie Wolkenkratzer und im innersten Kreis so hoch, daß das volle Tageslicht, vermutete Theo, nur um die Mittagszeit ein paar Minuten lang die Oberfläche des Wassers beschien.
    Ihre Größe war schon imposant genug, doch obwohl Theo wenig Ahnung von Bäumen hatte, war die Tatsache kaum zu übersehen, daß nicht zwei von ihnen dort im Ring von gleicher Art waren: Der Baum, unter dem sie geparkt hatten, war eine himmelhoch ragende Kiefer, aber sie stand zwischen einer kolossalen Eiche und einer schier unglaublichen Birke, deren heller Stamm einer Mondrakete glich. Dies gab dem Ring der Riesenbäume um den See etwas Künstliches – was verwunderte, wo doch der Ort in anderer Hinsicht im höchsten Maße natürlich wirkte und förmlich pulsierte vor urwüchsiger Erhabenheit und Einsamkeit. Da zudem jeder Baum in seinem eigenen Wiesenhügel wurzelte und jeder Hügel so groß wie ein ganzer Sportplatz war, hätte man die Riesen, wenn nicht die Pracht der vielen hundert verschiedenen leuchtenden Grüntöne, die herrliche Mannigfaltigkeit grauer, weißer und brauner Stämme und das Schwanken ihrer

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