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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schreck seine Haut kribbelte und sein Atem stockte, schien in weiter Ferne zu geschehen, und doch nahm er es so deutlich wahr, wie wenn jemand ein paar Stockwerke tiefer ermordet wird und seine Schreie dennoch durch die Decken dringen. Körper. Sind das etwa …?
    »Der König und die Königin!« rief Fürst Fingerhut, dem Ton nach fast so entsetzt wie Theo. »Bei den Bäumen, Nieswurz, wir können doch nicht wagen, uns an ihrer Ruhestätte zu vergreifen …!«
    »Halt den Mund!« herrschte ihn Aulus Stechapfel an, doch auch durch seine Stimme lief ein Haarriß der Furcht. »Urteile nicht über Dinge, von denen du nichts verstehst, Fingerhut!«
    Auf einmal gewannen die Körper in der Krypta aus Licht schärfere Konturen, als ob sie zur Oberfläche emporstiegen, ohne näher zu kommen, doch obwohl Theo sie mit großen Augen anstarrte, wurde er nicht recht schlau aus dem, was er sah. Er sah, daß die eine Gestalt weiblicher geformt war als die andere und daß beide offenbar groß waren, größer noch als Anton Nieswurz, obwohl das durch die Zerrwirkung des leuchtenden Mediums schwer einzuschätzen war. Auch bestimmte Einzelheiten zeichneten sich ab – eine Krone, eine dunkle Haarlocke, die in dem pulsenden Licht hin und her schwankte wie Riementang in einer Meeresströmung –, doch sie trugen nur zu seiner Verwirrung bei, denn außerdem wurden andere, widersprüchliche Aspekte der beiden Figuren sichtbar, die sich nicht zu einem Gesamtbild fügten: Eine Hand wurde plötzlich zur Klaue, ein Lockenkopf war gleichzeitig ein kahler Schädel mit einem straffen Fleischkamm, der an die Rückenflosse eines Fächerfisches erinnerte. Das Schwert, das auf der Brust des Königs lag, verschwamm und wurde erst eine Keule und dann ein Musikinstrument, nicht unähnlich einem von denen, das die Goblins gespielt hatten. Der Edelstein, den die Königin in ihren schlanken Händen hielt, wurde zu einem Ei, dann zu einer Blume, und dabei veränderten auch die Hände selbst die Form wie Wachs im Feuer: lange Finger wurden kurz und breit, Krallen erschienen und verschwanden, die Haut wechselte die Farbe und überzog sich schimmelartig mit Fell, das im nächsten Moment wieder weg war. Es war, als ob hundert, tausend verschiedene Gestalten in den glühenden Tiefen trieben und alle an einem Punkt gespiegelt wurden, so daß jede einzelne, die in den Blick kam, zugleich mit allen anderen verquickt war.
    Und noch etwas hatten alle diese schemenhaften, einander überlagernden königlichen Gestalten gemeinsam: Obwohl sie starr dalagen wie zu einem rituellen Begräbnis und obwohl ihre Augen so vielgestaltig waren wie alles andere an ihnen – eulenartig rund oder geschlitzt, manche mit Katzen- oder Schlangenpupillen, andere mit einer Art Film verschleiert oder kaum zu sehen bis auf ein Blitzen unter starken, knochigen Brauenwülsten –, waren sämtliche Augenpaare geöffnet.
    »Sie leben.« Fürst Fingerhut brachte nur ein entsetztes Flüstern zustande. »Oberon und Titania … sie leben immer noch!«
    »Natürlich leben sie, du Idiot!« sagte Nieswurz. »Sie sind gefesselt, nicht tot. Sie sind Elfien, sie sind seine Verkörperung – sein Herz. Wenn sie tot wären, würden wir wahrscheinlich gar nicht existieren. Wie hätten wir ohne sie bestehen sollen?«
    »Aber … aber darauf war ich nicht vorbereitet …« Fingerhut schien den Tränen nahe zu sein. »Du hast gesagt, du wolltest lediglich die Menschenwelt anzapfen!«
    »Und wie soll deiner Meinung nach eine solche Kraft gefaßt werden, wenn wir sie erst einmal haben?« lachte Nieswurz. »Ohne den König und die Königin wäre das so, als wollten wir die Mondflut in eine Regentonne leiten.«
    Fingerhut verstummte zitternd, doch jemand anders ergriff das Wort, eine stockende Stimme, die Theo im ersten Moment gar nicht erkannte. »Ihr wart das, nicht wahr? Die Sieben Familien. Ihr habt das angerichtet.«
    Nieswurz lächelte. Bis auf das Schreckliche Kind schien er der einzige zu sein, der von der unheimlichen Ausstrahlung des Ortes nicht überwältigt war. »Der kleine Querz spricht endlich. Wenn ich mich recht entsinne, hast du für Fürstin Jonquille gearbeitet. Offenbar hat sie mit scharfem Blick deine Anlagen erkannt. Aber du hast nur zur Hälfte recht. Der König und die Königin waren vom letzten Riesenkrieg stark geschwächt, denn sie hatten fast ihre gesamte Energie verausgabt, um das Gefüge des Reiches zusammenzuhalten. Sie waren nicht in der Lage, Widerstand zu leisten, als wir unseren

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