Der Blumenkrieg
Kopf, triumphierend, irrsinnig. Hier. Das Warten ist vorbei.
Theo erklomm die letzten Meter der Anhöhe und sah, was den Schimmer in der Luft verursachte.
Es war weniger ein Krater als eine Wiesenmulde, die aussah, als hätte jemand eine Faust sanft in einen Klumpen Teig gedrückt. Auf ihrem Grund lag die Ruine eines Schlosses, das vollständig aus Glas gebaut worden war – größtenteils in glitzernde Scherben versprengt, aber hier und da auch noch ein ganzer Trakt, der eine vage Ahnung der einstigen Pracht vermittelte. Der Boden oben am Rand wies deutliche Brandspuren auf, und obwohl am Glas kein bißchen Schwarz zu sehen war und Theo sich schon fragte, ob es sich vielleicht gar nicht um Glas handelte, sondern um etwas Feuerfestes wie zum Beispiel Diamant, waren viele der herumliegenden Stücke zu glatten, verbogenen Formen geschmolzen und die noch stehenden Reste von Sprüngen durchädert, so daß sie auf Theo, abgehoben betrachtet, geradezu fraktal wirkten, das Ergebnis eines Experiments in der Blasenkammer, liebevoll fotografiert und im Smithsonian Magazine abgedruckt. Noch als Bild der Verwüstung strahlten die Trümmer eine Kraft und Schönheit aus, die seinen Blick bannten, bis ihm von der Beugung des Lichts an ihnen der Kopf weh tat.
Hier.
Kurzum, die Hügelkuppe sah aus, als ob sie der Schauplatz einer kleinen, aber sehr starken und sehr ungewöhnlichen Explosion gewesen wäre. Dabei schien das Ereignis weiter nachzuwirken, denn in einer Grube in der Mitte waberte noch eine Art leuchtender Glutfluß, der an Magma erinnerte, aber nur lose durch die Schwerkraft gebunden war. Reflektiert und gebrochen von den Glasscherben war er die Ursache für das Flirren über dem Hügel.
Nieswurz befahl Theo, vorzutreten. Seine Herrschaft über das Redevermögen seines Gefangenen mochte sich gelockert haben, aber die Herrschaft über dessen Körper keineswegs. Als Theo hilflos herbeigetrottet war, nahm Nieswurz ihn auf irritierend vertrauliche Art am Arm, wie es vielleicht ein Älterer macht, der einem jüngeren Kollegen eine Lebensweisheit mit auf den Weg geben will, und führte ihn am Rand der Mulde entlang, einem einzigen Scherbenfeld voll zersplitterter Spitzen und geschmolzener Klumpen. Die Farben in der leuchtenden Grube vibrierten jetzt schneller und unregelmäßiger, als wäre das Loch etwas Lebendiges, das ihre Gegenwart spürte. Theo verkrampfte sich, als Nieswurz die Hand nach seinem Hals ausstreckte, weil er sicher meinte, gewissermaßen als Vulkanjungfrau eines bizarren religiösen Rituals hineingestoßen zu werden, und sich dennoch nicht widersetzen konnte. Doch statt dessen pflückte der Elfenfürst nur mit verblüffender Flinkheit Apfelgriebs hinter Theos Ohr weg.
»Du würdest die Durchführung behindern, wenn ich dich daließe«, sagte Nieswurz, während er die strampelnde Fee zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. »Wenn du so dicht bei ihm bist, kann er die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen. Selbst dein winziges bißchen Lebenskraft würde die Verbindung stören.«
Wütend riß sie mit beiden Händen an seinem Finger. »Und du kannst dich mal ins Knie ficken, du mehlgesichtiger …«
»Du wirst nicht noch einmal in seine Nähe kommen.« Mit überraschender Kraft schleuderte Nieswurz sie weg: Eine kurze Handbewegung, und sie sauste durch die Luft wie aus der Kanone geschossen und entschwand über dem See.
Flieg weiter! bat Theo sie im stillen. Flieg weiter! Sieh zu, daß du hier wegkommst!
»So.« Nieswurz wandte sich wieder Theo zu. »Du wartest hier, bis ich dich brauche.« Und damit schritt er zu den anderen zurück.
Nur dieses eine Mal wäre Theo liebend gern dem Elfenfürsten gefolgt – die Nähe zu der Grube und seinem leuchtenden, fließenden Farbenspiel versetzte ihn in einen Zustand, wie er sich einen Epileptiker kurz vor dem Anfall vorstellte –, aber er brachte es nicht fertig, seine Beine zu bewegen. Das glühende Bernsteingelb und Rauchviolett blubberte lautlos, ja substanzlos. Von seinem unverrückbaren Standort am Rand der Grube aus hörte er Nieswurz etwas sagen und sah aus dem Augenwinkel, wie das Schreckliche Kind sich zum entgegengesetzten Rand begab und dort Aufstellung nahm, gleichzeitig jedoch wurde seine Aufmerksamkeit von etwas noch Unheimlicherem abgelenkt. Tief unten in dem Teich aus Licht, so verschwommen, daß er zunächst seine Augen in Verdacht hatte, aus dem Nichts Formen zu erfinden, lagen zwei menschenähnliche Gestalten.
Da sind Körper drin. Daß vor
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