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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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stellte sich davor, die kleinen Hände weit ausgebreitet, und hellere Lichtpulse sprangen in seiner Nähe auf. Genau wie vorher Nieswurz rezitierte der Junge etwas, eine Zauberformel, die den Lauf der Welt beeinflussen sollte, doch er benutzte eine Sprache, die sich beinahe unartikuliert anhörte, schrie sie freudig, und während Nieswurz seine Beschwörung abgehaspelt hatte wie einer, der rasch ein Telefongespräch beenden möchte, ging das Schreckliche Kind in der seinen völlig auf und durchlebte dabei offenbar eine unvorstellbare Erfahrung, in der es lachte, vor Wonne quietschte und sich auf einen grauenhaften Höhepunkt zubewegte.
    Das war’s. Theo sah traurig zu Wuschel Segge hinüber, doch sein Freund hing schlaff zwischen den Wächtern, den Kopf gesenkt. Theo hoffte, daß er nur von einem strafenden Schlag auf den Kopf betäubt worden war, nicht getötet, obwohl das keine große Rolle mehr zu spielen schien. Das war’s. Wir verlieren. Knopf verliert. Ich verliere. Nieswurz gewinnt. Er fühlte, wie der letzte Bodensatz der Substanz, die den Veilchenteil des magischen Schlüssels bildete, zusammen mit seiner eigenen Lebenskraft aus ihm aus- und in den Jungen einfloß, als ob er ein Sack wäre, in den man ein Loch gerissen hatte. Die entweichende Essenz lief zügig und glatt dahin, im gleichen Tempo wie der gemessene Jubelgesang des Jungen.
    Nein, es war nicht nur eine Essenz, die sich verströmte, erkannte er, als sein Kopf vorfiel und seine müden Augen zuklappten. Er selbst fiel im Zeitlupentempo aus seinem eigenen Körper hinaus in eine dunkle, endlos dunkle Tiefe. Das Ausfließen des Schlüssels war die einzige starke Bewegung, zu der er noch imstande war, und unmöglich zu ignorieren. Es war nicht nur ein Verrinnen, sondern ein Pulsen, ein rhythmisches Pulsen mit der unerbittlichen Gleichmäßigkeit eines kosmischen Herzschlags.
    Ba-bump. Ba-bump. Es hätte das ruhige Pumpen seines eigenen Herzens sein können. Ba-bump. Ba-bump. Die Verbindung zwischen ihm und dem Jungen pulste wie das Blut aus Rainfarns durchschnittener, Leben speiender Halsschlagader. Er fühlte den Puls, schwamm eine Weile darin. Einmal Musiker, immer Musiker, dachte ein sterbender Teil von ihm mit amüsierter Distanz. Das Ende der Welt hat einen Hintergrundrhythmus …
    Der unerbittliche Puls zerrte ihn immer tiefer hinab in den Schlaf und die endgültige Dunkelheit, aber er wollte noch nicht schlafen. Er dachte plötzlich an die Goblinmusik, ihr wunderbar regelloses und doch organisiertes Klanggeflecht, die elliptischen Rhythmen, die einen sturen Takt wie diesen zerpflücken würden. Goblintöne. Er versuchte, sich darauf zu besinnen, doch sie waren so fern wie die Wachwelt vom Zentrum eines Albtraums. Da kam ihm ein Hauch, ein Echo, ein Erinnerungsfragment. Goblins machen Figuren wie … wie die hier. Er erinnerte sich daran, oder vielleicht phantasierte er sie auch bloß, aber sie fühlten sich richtig an mit ihrem angeknacksten Rhythmus, der leicht eiernde Kreise um den langsamen Puls beschrieb. Ein ganz kleines bißchen versetzt. Ja, genau so. Erstaunlicherweise fand er in der Erinnerung eine gewisse Stärke. Zunächst meinte er, es wäre nur ein flüchtiges Aufbäumen, ähnlich wie eine Kerze noch ein letztes Mal aufflackert, wenn sie ausgeblasen wird, dann aber setzte das stetige Pulsen aus. Auf einmal nahm er von dem Kind ein angestrengtes Saugen wahr, ein gieriges Schnappen nach dem, was Theo zurückhielt.
    Mit wachem Bewußtsein konzentrierte er sich noch mehr auf den anderen Rhythmus. Er war sich nicht mehr ganz sicher, daß dieser wirklich etwas mit Goblins zu tun hatte, aber es war eine Gegenbewegung, und zudem eine, die er halten konnte. Er faßte danach, vollführte die Variationen mit schlüpfrigen geistigen Fingern, die sich jeden Augenblick an den komplizierten rhythmischen Figuren zu vergreifen drohten. Ich hätte mehr an solchen Sachen arbeiten sollen, dachte er, ganz schwindlig auf seinem wackligen Posten am Rand eines schwarzen Loches, wo ein einziger Fehler ihn ins Verderben stürzen konnte. Für richtigen Jazz hab ich noch nie getaugt.
    Laß los! Die Worte, die von dem Kind zu ihm drangen, waren kein Hohn, sondern ein Befehl. Du bist zu schwach, um mich aufzuhalten. Und Theo wußte, daß das stimmte – er war zu schwach. Aber er wußte auch, daß der Junge und Nieswurz auf dem Weg zu ihrem schließlichen Sieg durch seine polyrhythmischen Stacheldrahtwindungen kriechen mußten und sich daran blutig kratzen

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