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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sollte.
    Sein Herz sauste ihm in die Kehle empor wie ein Otis-Aufzug und schnitt ihm die Luft ab. Er fuhr herum, um sich aus der Gasse hinaus auf den Bürgersteig zu schleifen, zu den Menschen, die sich in der warmen Sommernacht nur ein paar Dutzend Meter weiter auf den Straßen herumtreiben mußten, zu den Eckenstehern, den Möchtegern-Zuhältern. Auch wenn sie ihn sonst quälten und verhöhnten, würden sie ihn doch sicher nicht diesem … Ding überlassen! Er wollte schreien, doch ein Gewicht wie etliche Kubikmeter Friedhofserde stürzte auf ihn und warf ihn zu Boden. Dann schlang sich ihm etwas, das nach ausgelassenem Fett und alten Knochen roch, um Mund und Nase, drückte fester und immer fester, bis James Macomber Eggles zuletzt seinen müden, verkrüppelten Leib aufgab und lautlos kreischend in die Leere entfloh.
     

     
    E r hatte so lange darauf gewartet, wieder in den Genuß dieser fremdartigen, aber angenehmen Empfindung zu kommen. Die Äonen, die er an dem kalten, dunklen Ort, in jenem nur von Schemen wie ihm bevölkerten Nichts verbracht und von der flackernden Wärme seiner Leidensgenossen gezehrt hatte (unter sorgfältiger Vermeidung der wenigen, deren Leere tiefer und mächtiger war als seine eigene), sie hatten sein ursprüngliches bißchen Bewußtsein nahezu gänzlich ausgelöscht. Jetzt war er wieder frei.
    Doch die Freiheit war nicht vollkommen. Ein Zwang durchschnitt sie wie eine rote Narbe: Sein ganzer Hunger, sein eisiger Haß auf alles, was warm und frei war, war auf ein Lebenspünktchen konzentriert worden, das er spüren, aber nicht direkt erreichen konnte – auf den Theovilmos, die Beute. Beim Übergang auf diese Ebene war die Beute einen Augenblick lang zum Greifen nahe, der körperlose Jäger jedoch noch nicht dafür gerüstet gewesen, sie sich zu holen. Doch das grimmige Feuer seines Hungers war so groß, daß sich die beiden selbst über die unüberbrückbare Kluft hinweg beinahe berührt hätten. Dann hatte der Irrha loslassen müssen, weil es ihn hinwegriß an einen anderen Ort, wo die Ebenen näher beieinanderlagen und er den Eintritt in die physische Wirklichkeit, in der sich seine Beute aufhielt, leichter vollziehen konnte.
    Der Pestdämon streckte seine neuen Glieder, gebrauchte seine neuen Sinne. Warmes Leben umgab ihn, warmes Leben zwischen geometrischen Ordnungen kalter Steine. So viel Zeit war vergangen, seit er diese materielle Ebene das letzte Mal betreten, diese ganz bestimmten, köstlichen Schmerzen gefühlt hatte. Der Irrha versuchte, aus den Augen des gestohlenen Körpers zu schauen, bekam aber fürs erste kein klares Bild. Einerlei, seine eigenen Sinne waren noch scharf. Er schmeckte andere Lebensformen ganz in der Nähe, Wesen wie das, dessen Körper er sich jetzt übergestreift hatte: Gleich dort vorn, wo dieser beengte Raum sich öffnete, ergingen sie sich in Bewegungen und Geräuschen, ahnungslos wie Vögel, die an einem Ast vorbeiflogen, auf dem ein Leopard sich schlafend stellte.
    Es war Zeit, mit der Jagd zu beginnen, doch der Irrha zögerte. Etwas stimmte nicht mit dieser Form, die er in Besitz genommen hatte: Sie war irgendwie unvollständig, die Glieder verkürzt und ungleichmäßig. Der Irrha hatte sich diesen Körper ausgesucht, weil sein Besitzer nahe dem Endpunkt der Überfahrt gewesen war und weil er der Bemächtigung spürbar keinen großen Widerstand entgegenzusetzen hatte. Nach den Strapazen der Fahrt hatte der Irrha gemeint, sich schonen zu müssen, doch diese Kräfteökonomie hatte sich als verfehlt erwiesen.
    Das hungrige Ding mußte ein paar Korrekturen vornehmen. Jetzt, wo er ein Teil dieser Seinsebene geworden war, stand ihm eine lange, anstrengende physische Reise bevor, die der Körper aushalten mußte. Außerdem mußte dieser gestohlene Träger stark genug sein, um den Theovilmos zu fangen und ihn, wie befohlen, an die dunklen Stätten zu schaffen.
    Aber wenn die Herren, die ihn gerufen hatten, mit dem Theovilmos fertig waren, vielleicht, so dachte der Pestdämon auf seine wortlose Art, vielleicht erlaubten sie ihm dann, die Beute zu fressen. Das wäre ein Fest für den Irrha, wenn er zu guter Letzt seinen Hunger stillen dürfte.

 
7
Im Wald
     
     
    Als ich nach meinen mühseligen Forschungen (und so vielen fehlgeschlagenen Versuchen!) endlich diese sagenumwobene Metropole vor mir sah, die belebten Straßen und die glänzenden Türme, die so wenige Menschen je geschaut haben und von denen noch wenigere wiedergekehrt sind, da begriff ich

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