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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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vielen der führenden Familien nach Hause eingeladen wurde.
    Wenn ich nicht in den Blumenresidenzen selbst zu Gast war, fand ich Mittel und Wege, mich auf andere ungewöhnliche Weise durchzuschlagen. Wegen der gegenwärtigen Seltenheit menschlicher Besucher und der Spärlichkeit von Elfenreisen in unsere Welt sind Dinge, die einst in der Stadt und ihrer Umgebung reichlich vorhanden waren, heute sehr schwer zu bekommen – Tränen zum Beispiel, denn obwohl auch die Elfen gelegentlich weinen, bevorzugen sie die Tränen eines Menschen in vielen ihrer Präparate (einschließlich solcher, die wir für magisch halten würden, wobei dort natürlich alles magisch ist, weil man es gar nicht anders kennt). Als ich von dieser speziellen Nachfrage erfuhr, bedauerte ich zum erstenmal in meinem Erwachsenenleben, daß ich keine Frau war, insbesondere keine Jungfrau, weil die Tränen und anderen Exkrete, die Haare, selbst die Fingernägel und die dürre Haut einer menschlichen Jungfrau in ganz Neu-Erewhon einen sehr hohen Preis erzielen, sei es in Tauschwaren oder Elfengold. Aber auch so ging es mir nicht schlecht: Mit den Haaren, die ich von meinem Bart abschnitt, und den Tränen, die ich mir mit Hilfe der Zwiebeln vom Wochenmarkt in der Firnwasserstraße abpreßte, konnte ich mir ein kleines, aber gemütliches Quartier auf sorgfältig ausgewähltem neutralen Territorium in einem Viertel nahe dem Palais Neuer Hügel leisten, in dem das Elfenparlament seinen Sitz hat und das seit langem eine Art heilige Stätte ist, ausgenommen von den Rivalitäten selbst der streitsüchtigsten Geschlechter. Später zog ich in eine größere Wohnung im Stadtteil Vormittag, wo ich aber das geschäftige Treiben im Zentrum oft vermißte.
    Ich habe erwähnt, daß die Mitglieder aller führenden Familien große Ähnlichkeit mit Menschen haben (obwohl man nachgerade taub und blind sein müßte, um sie mit echten Menschen zu verwechseln). Dadurch könnte beim Leser der Eindruck entstehen, ein Rundgang durch die gewundenen Straßen von Neu-Erewhon wäre nicht viel anders als eine Tour durch eine der großen Städte unserer Welt. Ich möchte kurz erklären, warum das nicht der Fall ist.
    Zunächst einmal machen die menschenartigen Blumengeschlechter nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus. Außer in den reichsten oder eitelsten Häusern sehen uns nicht einmal die Diener besonders ähnlich. So sind zum Beispiel die Flügel, die die großen Familien auf irgendeine Art abgeworfen haben oder wenigstens sorgsam verbergen, an ihren Dienstboten durchaus noch zu sehen, schimmernde Rückenschwingen, durchscheinend wie Libellenflügel und von zarten Farben überhaucht. (Sie sind auch gebrauchstauglich, doch die größeren Elfen fliegen selten.) Dennoch kommen diese Diener von den sonstigen Elfenklassen dem menschlichen Äußeren noch am nächsten – eine Voraussetzung, um überhaupt Anstellung zu finden. Die Bevölkerung der großen Stadt ist unglaublich verschiedenartig, und wenn man gegen Abend auf der Firnwasserstraße spazieren geht, kommt man sich eher vor wie in einem Hieronymus-Bosch-Gemälde als wie auf einem Stadtbummel auf Erden: Es wimmelt nur so von winzigen Feen, Wichteln, Pucken, anmutigen Hollenweiblein, sogar dahinhuschenden Goblins, die drängeln, streiten, ihre Waren ausrufen und die ersten Schritte des Tanzes der zarten Neigung vollführen, und dies sind nur wenige der vielen hundert Arten, der vielen tausend sonderbaren Gestalten. Immer wenn ich meinte, die sonderbarste gesehen zu haben, wurde ich flugs eines Besseren belehrt.
    Eine Anekdote kann das aufs schönste veranschaulichen.
    Ich war auf dem Heimweg von einem Mondbranntweinumtrunk im Festungshaus der Levkojensippe, wo ich zu Gast bei einer der jungen Frauen der Familie gewesen war, die mit ihren Freundinnen gewettet und deshalb meine Bekanntschaft gesucht hatte. Mondbranntwein ist destillierter Tau, der zu einer bestimmten Mondphase gesammelt werden muß, und nach meiner Erinnerung ein stark berauschendes Getränk, das auch in dem stoischsten Wesen Lustigkeit und Begierde im Übermaß weckt. Hierzu möchte ich anmerken, daß die Sonne und der Mond nach meiner Beobachtung denen in unserer irdischen Welt gleichen, nur daß sie dort drüben, wie überhaupt alles jenseits der Letzten Pforte, mächtiger, unmittelbarer und magischer wirken, insbesondere der Mond. Ob sie tatsächlich dieselben Himmelskörper sind, die auch die Menschen sehen, nur in unserer heutigen Zeit im einen Falle

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