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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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verhüllten Herzen der Stadt (einem verbliebenen Waldstück, das als »der Hain« oder manchmal als »der Dom« bezeichnet wird, wo fast niemand hingeht und ein Außenseiter wie ich mit Sicherheit keinen Zutritt hat) ist Berichten zufolge die Verzerrung der irdischen Zeit, die einsetzt, sobald man die Letzte Pforte durchschritten hat, am stärksten, so daß die Zeit sich nicht mehr nur anders anfühlt als auf Erden, sondern überhaupt ein plastischeres Medium wird …
     
    Theo klappte das Buch zu. Wie in Mitleidenschaft gezogen von der Zeitverzerrungsidee seines Großonkels las er immer langsamer, je absonderlicher die Geschichte wurde. Eine Woche in der Hütte, und er hatte noch keinen Blick in ein anderes Buch geworfen, so sehr fesselten ihn die Rätsel und Wunder, die Eamonn Dowd sich ausgedacht hatte. Er hatte auch nicht soviel Gitarre gespielt, wie er sich vorgenommen hatte. Das lag unter anderem daran, daß die Tage unerwartet voll gewesen waren: Trotz der Beteuerungen der Maklerin, sie hätte alles für ihn geregelt, hatte er eine halbe Woche lang mehrmals bei der Hausverwaltung des Besitzers anrufen müssen, bis die Strom- und Wasserversorgung der Hütte ordentlich funktionierte, so daß die langen Mußestunden, in denen er nur dem Lesen und Nachdenken frönte, bislang weitgehend Theorie geblieben waren.
    Außerdem schlief er nicht besonders gut. Die gruseligen Träume, vor allem diejenigen, in denen er das Gefühl hatte, jemand anders zu sein oder vielmehr seine Persönlichkeit gegen seinen Willen mit jemand anders zu teilen, hielten sich hartnäckig wie ein übler Geruch. Sie kamen Gott sei Dank nicht jede Nacht, aber oft genug, daß er sich schon überlegte, ob er es mit Prozac oder sonst einem Antidepressivum versuchen sollte.
    Da war es ein Segen, daß er das Buch seines Großonkels zur Ablenkung hatte.
    Soweit er es nachvollziehen konnte, war der Held der Geschichte eindeutig nicht einfach an irgendeinen schwer zugänglichen Ort in der wirklichen Welt gereist, sondern hatte eine magische Barriere überquert – ein Vorgang, dessen Beschreibung aller Ausführlichkeit zum Trotz vieles im unklaren ließ, denn selbst die wenigen konkreten Angaben waren in Begriffe gekleidet, die Theo nicht verstand, und strotzten nur so von Verweisen auf Bücher und andere Schriften und deren Verfasser, die gut und gern alle fiktiv sein konnten. Eamonn Dowds erfundene Welt selbst schien in mancher Hinsicht ein typisches Märchenland zu sein, doch sie war weder ein Kinderwunderwald mit Schmetterlingen und Blumen noch das schillernde, gefährliche Reich der keltischen und skandinavischen Mythologie. Nach dem, was Theo bisher gelesen hatte, war sie vielmehr ein kurioses Spiegelbild der wirklichen Welt, wenn auch mit einem leicht altmodischen Einschlag. Es waren bereits Bürogebäude und Eisenbahnlinien vorgekommen. In was für einem Märchenland gab es Eisenbahnen, um Himmels willen?
    Immerhin war es originell, das mußte er seinem Großonkel lassen. Vielleicht fand er doch noch einen richtigen Verlag dafür.
     

     
    In mancher Beziehung bietet die Organisation der Stadt keine großen Überraschungen. Die mächtigen Familien umgeben sich mit ihren weniger mächtigen Gefolgsleuten, so daß ein Stadtviertel fast ausschließlich den Anhängern der Sternmieren- oder der Ringelblumensippe (um nur zwei der weniger hohen Adelsgeschlechter zu nennen) vorbehalten sein kann. Diese Viertel, angelegt um die Türme der herrschenden Familien herum, sind zu weitgehend autonomen Gemeinwesen innerhalb des Gesamtgefüges der Stadt geworden. Ein wenig erinnert das Ganze an das Florenz des Quattrocento, wo fast jedermann ein Parteigänger eines der führenden Familienverbände war, der Pazzi, Albizzi oder Medici.
    Neu-Erewhon ist seiner Natur nach für einen Menschen ein gefährliches Pflaster, aber glücklicherweise gelang es mir, eine geeignete Nische zu finden. Die Bürger sind erstaunlich tolerant, vielleicht weil sie selbst nach Gestalt und Wesensart so verschiedenartig sind (wobei die führenden Familien jedoch das menschliche Äußere fast vollständig angenommen haben – vorausgesetzt, daß es nicht ursprünglich andersherum war!). Es hat von jeher Menschen gegeben, die den Weg dorthin gefunden haben, sei es auf eigene Faust oder als Elfengeliebte, doch der Verkehr zwischen dort und hier ist in jüngster Zeit seltener geworden, ja fast gänzlich zum Erliegen gekommen, so daß ich als eine willkommene Rarität behandelt und sogar von

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