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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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lag durchaus im Bereich des Möglichen, obwohl es das erste Mal seit mehreren Jahren gewesen wäre, daß der Besitzer sich im Werk blicken ließe: Aulus Stechapfel war schließlich eine der wichtigsten Persönlichkeiten in ganz Elfien.
    »Wie heißt der Fall?« fragte Hartriegel den verhutzelten Blockwart Styrax.
    Der Alte, für den der Aufstieg in eine leitende Position seit langem schon kein Thema mehr war, der sich aber immer noch Hoffnung auf eine kleine Aufbesserung seiner eines Tages zu erwartenden Rente machte, nickte eifrig mit dem weißen Wuschelkopf. »Freundlich von dir, daß du nachfragst, Herr Hartriegel, sehr freundlich«, nuschelte er. »Nessel Komma Stracki, so heißt der Junge.«
    »Assel Kot Kanaki? Was ist denn das für ein Name? Ist er ein Goblin oder so was in der Art?«
    Styrax riß weit seine Triefaugen auf. »Nein, Herr Hartriegel. Entschuldigung, Herr Hartriegel. Er heißt Stracki Nessel, stammt aus einem Bauerndorf in Hasel.«
    »Was fehlt ihm?«
    »Wenn ich das nur wüßte!« Styrax vermochte den Eindruck zu übermitteln, daß dem Drückeberger seines Erachtens gar nichts fehlte. »Er hat nicht gut geschlafen – seine Bettnachbarn sagen, er hätte die ganze Nacht gestöhnt und gejammert. Dann ist er nicht zum Frühstück aufgestanden.« Styrax lutschte an einem seiner verbliebenen Zähne. Er war ein Urisk; wie viele Elfen aus dem kalten Norden war er in der Wärme der Stadt rasch gealtert und sah zwei- oder dreihundert Jahre älter aus, als er war. »Dabei gab es so eine gute Hafergrütze. Ein Dummkopf.«
    Hartriegel nickte. »Ja, ja, verstehe. Na gut, dann kannst du jetzt wieder ans Netz zurück … äh …« Er konnte sich beim besten Willen nicht an den Namen des alten Urisken erinnern, und so behalf er sich kurzerhand mit einem Kompliment, was immer gut ankam. »Gut gemacht, wollte ich noch sagen. Danke für deine Hilfe.«
    Der alte Styrax nickte im Hinausgehen so eifrig mit dem Kopf, daß Hartriegel befürchtete, er könnte ihm abfallen. »Vielen Dank, Herr Hartriegel. Stets zu Diensten, Herr Hartriegel.«
    Zu Hartriegels Verdruß befand sich der Strohsack des Jungen am hinteren Ende des scheunengroßen Schlafsaals, der allein zweihundert Lager faßte. Die Strohsäcke lagen in langen Querreihen über die ganze Fläche verteilt, so daß man den Eindruck eines Riesenmauls mit viel zu vielen Zähnen hatte.
    »Na, junger Freund.« Hartriegel bemühte sich um einen gutmütigen, jovialen Ton, während er den großen, hallenden Raum durchquerte – da fühlten sich die kleinen Kerle gleich viel wohler. Vielleicht hatte der Bursche schlicht Heimweh. Nessel – ein Bauernname, gewöhnlich wie Senf. Davon gab es im Werk bestimmt eine halbe Hundertschaft.
    Die erste Überraschung war, daß Nessel alles andere als ein »kleiner Kerl« war: Der auf dem Lager ausgestreckte junge Bursche war so dünn, daß seine Knie breiter wirkten als der Rest seiner Beine, doch er war außerdem verblüffend lang. Die zweite Überraschung für Hartriegel war der Blick nackter Angst in den hellen Augen des Jungen.
    »Wie ich höre, bist du heute morgen nicht ganz auf der Höhe, was?« Hartriegel lächelte, um deutlich zu machen, daß er kein Aufseher von der brutalen Sorte war, nicht so wie dieser Berberitze. »Wohl mit den anderen jungen Burschen rumgezogen, hä? Mal bei Madame Enzian reingeschaut und dazu noch einen über den Durst getrunken? Hab ich früher auch gemacht, Junge. Ich war nicht immer derselbe wie heute, eine Respektsperson mit Verantwortung und was so dazugehört.« Hartriegel hielt inne, verengte die Augen. Der Kerl reagierte nicht wie erhofft, was ihn ein wenig ärgerte. »Auf geht’s, Junge, du kannst nicht den ganzen Tag im Bett bleiben, oder? Auf uns wartet Arbeit, eine sehr wichtige Arbeit. Die Stadt braucht uns – ganz Elfien braucht uns.«
    Der Junge starrte ihn an, nicht aggressiv, aber als ob es ihm schwerfiele, ihn klar zu erkennen. »Mir … mir geht’s nicht gut.« Er murmelte die Worte, und der ländliche Haseler Akzent machte sie nahezu unverständlich. »Ich glaube, ich sollte …« Sein verschwitztes, blasses Gesicht wurde noch verschwitzter, als er begriff, daß er um ein Haar einem Aufseher ungefragt seine Meinung gesagt hätte.
    »Du wirst staunen, wieviel besser es dir gleich geht, wenn du einfach aufstehst und deine Arbeit machst, Junge. Als was bist du tätig? Großraumspeicher? Ist das hier der Speicherschlafsaal?« Die großen Schlafscheunen sahen alle gleich aus, und

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