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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Besengras fuhr herum und schlug auf einen Widerstand ein, der mit großen Augen und offenem Mund vor seinem am Boden liegenden Kollegen stand. »Hau ab, Kerl! Zurück in deine Gruppe! Wir geben dir nicht Essen und Unterkunft, damit du in der Gegend rumstehst und gaffst!«
    Die anderen Schaltarbeiter verzogen sich daraufhin wieder an ihre Plätze, einige nicht ohne Kopfschütteln. Überzeugt davon, daß sie ihn alle auf irgendeine verquere Art für die Panne verantwortlich machten, bemühte sich Hartriegel, sich davon nicht anfechten zu lassen. »Was ist passiert?«
    »Schwer zu sagen, Herr.« Besengras war breiter und muskulöser als die meisten seines Schlages, was darauf schließen ließ, daß er mehr als nur ein paar Tropfen Menschenblut in sich hatte – »eine Eintagsfliege im Bienenstock« wurden solche Leute gelegentlich unzart genannt. »Wir sind auf Betrieb gegangen und haben von Block 3 übernommen. Alles war genauso, wie es sein sollte, da hat plötzlich die Impedanz verrückt gespielt. Es war Nessel, Herr. So was hab ich noch nie gesehen. Im ersten Moment sah er aus, als ob er Feuer gefangen hätte, wurde ganz grün und blau, fing an, Funken zu sprühen, und was weiß ich noch alles. Dann fiel er einfach um. Wir haben ihn weggeschafft, und ich habe dich angerufen. Damit hätte die Sache erledigt sein müssen – allein in diesem Abschnitt gibt’s vierzehn andere Kondensatoren, und alle haben einwandfrei gearbeitet –, aber gleich darauf wurden sämtliche Unterbrecher ausgelöst, und auf einmal, potztausend, ist alles tot!«
    Hartriegel verkniff sich eine bissige Bemerkung. Dieser Besengras schien die Sache sehr auf die leichte Schulter zu nehmen, so als ob das Ganze bloß ein Schuljungenstreich wäre, die Ausrede für einen freien Nachmittag. Statt dessen würden in dieser Angelegenheit wochenlang Mitteilungen durch die Gegend fliegen wie wildgewordene Hornissen, und nicht wenige davon quer durch Findus Hartriegels Büro.
    Berberitze. Wieso konnte das nicht in der Schicht von diesem verdammten Berberitze passieren?
    Der Aufseher blickte auf den jungen Stracki Nessel nieder. Die Glieder des Burschen zuckten immer noch, aber schon ein wenig langsamer. Seine Augen waren offen, und seine ansonsten glatten blonden Haare hatten sich durch die Gewalt der magischen Kraft, die kurz darin gesteckt hatte wie ein gestauter Fluß, in Ringellocken dicht an den Kopf gelegt. Nessels große Flügel hatten sich eingerollt und klebten an seinem Rücken wie geschmolzenes Glas.
    »Was ist los?« fuhr Hartriegel ihn an. »Was hast du angerichtet, du Dummkopf?«
    Der Junge glotzte ihn mit flatternden Lidern und klappernden Zähnen an.
    »Er kann nicht reden, Herr«, erklärte ihm Besengras. »Das kenn ich schon. Kann von Glück sagen, daß er nicht zu Asche geworden ist oder zu einem Frosch oder noch Schlimmerem.«
    Einer der Werksärzte, ein gewisser Bitterwurz, der früher einmal privat praktiziert hatte, aber dann in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, kauerte sich neben den Jungen und ließ über dessen schneeweißer Stirn ein Pendel schwingen. »Sieht schlecht aus«, sagte der Arzt kopfschüttelnd. »Ich glaube, wir sollten seinen Eltern sagen, daß sie sich auf das Schlimmste gefaßt machen müssen.«
    Hartriegel knurrte. Der verflixte Bengel hatte nicht nur einen Totalausfall verursacht, sondern anscheinend auch noch die Absicht, zu sterben und ihm damit stundenlange lästige Schreibarbeit aufzuhalsen. »Schafft ihn weg! Und jemand soll endlich rausfinden, warum wir noch nicht wieder am Netz sind!«
     
    E s dauerte drei Stunden, bis die Kraft wieder floß, und viele, wenn nicht gar die meisten von Fürst Stechapfels Kunden waren davon betroffen. In den Stadtteilen Abendstund und Nachtstund lagen sämtliche Büros im Dunkeln. Die Förderwagen fuhren nicht. Fabriken standen still. Zarte Seidenspinnen starben zu Tausenden, als die Heizzauber in ihren künstlichen Grotten ausfielen. Nur gut, daß der Fürst selbst nicht vorbeigekommen war, wie Hartriegel es noch am Morgen halb gehofft hatte, sondern statt dessen auf eine Jagdpartie im weit entfernten Birke gegangen war. So blieb genug Zeit, um vor seiner Rückkehr die Tatsachen zu verschleiern, und die gesamte mittlere Führungsriege würde das mit größtem Eifer betreiben. Schließlich hatte es in letzter Zeit genug andere Störfälle gegeben, die in keinerlei Zusammenhang mit dem eigentlichen Kraftwerksbetrieb gestanden hatten: Man konnte diesen Vorfall ohne

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