Der Blumenkrieg

das war auch sinnvoll so. Rivalitäten im Betriebsablauf waren das letzte, was man brauchen konnte.
    »Kondensator, Herr.« Ein Flüstern. Der Junge war wirklich extrem blaß, aber bei einigen dieser Leute vom Lande war das ganz normal. Es gab noch andere dunkle Wälder außer dem alten, der die Stadt umgab und in dem dieses Kraftwerk lag, und etliche der Bauernbengel waren noch nie richtig an die Sonne gekommen, bevor man sie in die Stadt geholt hatte.
    »Aha, ein Kondensator! Dann bist du ja ein richtiger Spezialist, was?« Findus Hartriegel lachte aufmunternd über seinen eigenen Witz, aber der Junge war zu begriffsstutzig oder zu weggetreten, um einzustimmen. Hartriegel runzelte die Stirn. »Auf jetzt, du willst doch deine Kameraden nicht im Stich lassen, oder? Wenn ein Kondensator ausfällt, müssen die andern seine Arbeit mit übernehmen.«
    Der Junge stöhnte. »Aber … tut mir wirklich furchtbar leid, Herr, aber …«
    »So! Weißt du, wieviel Zeit ich schon mit dir verplempert habe, junger Mann?« Aufseher Hartriegel beugte sich dicht heran. Höchste Zeit, daß der Bengel ein bißchen Kernholz zu spüren bekam. »Ein Kondensator? Es gibt genug andere, die Luftsprünge machen und Purzelbäume schlagen würden, wenn sie deinen Posten bekämen, ist dir das klar? Und ans Netz müßtest du trotzdem, um deine Schuld abzudienen. Oder vielleicht möchtest du statt dessen lieber in Fürst Stechapfels Kläranlage gesteckt werden?«
    Das brachte den Jungen endlich dazu, sich aufzusetzen, auch wenn es ihn Anstrengung kostete, und dabei entfalteten sich seine überdimensionalen Flügel hinter ihm. Die Dinger waren so groß wie Segel! Hartriegel schaute weg. Kein Wunder, daß seine Eltern ihn schleunigst hatten loswerden wollen. »Aber … das ist Nixenarbeit, Herr …!« protestierte der junge Mann, doch dann unterbrach ihn ein Hustenanfall, der eine Weile anhielt.
    »Du würdest dich wundern, Brennessel.« Er zögerte – der Name stimmte nicht ganz, aber der Junge krächzte immer noch und hatte ihn nicht gehört. »Du würdest dich wundern, was für Arbeiten sich für einen finden lassen, der auf einem hervorragenden Posten wie diesem versagt hat.« Er mußte ihm noch einen Schlag mit den Dornen verpassen. Ein junger Bursche wie der konnte sich so oder so entwickeln, und Hartriegel rühmte sich, etliche von dieser Sorte vor ihren eigenen niederen Trieben bewahrt zu haben. »Oder was mit einem passiert, der vertragsbrüchig zu werden versucht. Ich werde jetzt in mein Büro gehen. Wenn ich dort bin, erwarte ich, daß dein Vorarbeiter mich anruft und mir mitteilt, daß du wieder am Netz bist. Das richtest du ihm von mir aus. Und wenn nicht … nun, es gibt noch schlimmere Posten als die Kläranlage, Brennessel. Fürst Stechapfels Quecksilberminen leiden an Personalmangel, habe ich mir sagen lassen. Nicht gerade der ideale Aufenthaltsort für jemand mit so einem Husten.«
    Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt aus dem Raum, wie immer kerzengerade und erhobenen Hauptes. Wie erwartet rief ihn der Vorarbeiter kurz darauf an und teilte mit, der Junge sei an seinen Platz am Netz zurückgewankt. Findus Hartriegel gönnte sich einen Moment stiller Befriedigung über diesen Beweis dafür, daß sein Samthandschuh wieder einmal mehr Wirkung gezeigt hatte als die altmodische, harte Tour.
    Er hatte gerade angefangen, im Geiste den kurzen Artikel über sanfte Disziplinierung zu skizzieren, den er im internen Mitteilungsblatt für Führungskräfte der Energie AG Finsterwald zu veröffentlichen gedachte, als ihn derselbe Vorarbeiter noch einmal anrief. In dem Moment gingen die Lichter aus.
     
    S umpflichtlaternen waren überall entzündet worden, doch sie gaben nur einen schwachen Schein und rochen nach faulendem Holz, was Hartriegels Laune nicht gerade hob. Er hatte bei seinen Vorgesetzten schon mehrfach um die neuere und sauberere Elmsfeuernotbeleuchtung gebeten, aber hatten die da oben irgend etwas unternommen? Nein. Ohne die riesigen Leuchtkörper an der Decke sah es am Boden des Werks wie beim Mittsommertanz der Irrwische aus. Im flackernden Halbdunkel stieß sich Hartriegel das Knie an einem Stahlhocker, den jemand mitten im Gang stehengelassen hatte, und als er endlich am Ort des Geschehens ankam, hatte sich seine Stimmung noch mehr verschlechtert, sofern das überhaupt möglich war.
    »Warum sind wir nicht auf Notkraft?« schrie er. »Warum stehen die ganzen Arbeiter hier herum?«
    »Wir sind gleich wieder am Netz, Herr.«