Der Blumenkrieg
nicht samtbraun wie ein Hirsch, sondern grün, militärgrün. Er bremste ab, aber war schon vorbei. Als er zurückschaute, sah er nichts außer Zweigen und Lichtsprenkeln.
Ein Jäger? Aber die tragen doch orange, oder? So oder so konnte er sich nicht vorstellen, daß es erlaubt war, in der Gegend zu jagen. Vielleicht war es irgendein paramilitärischer Spinner, ein Kämpfer gegen das Steuerrecht oder so, der in seiner Phantasieuniform durch die Wälder schlich. Möglicherweise trieb sich ein ganzer Trupp von solchen Typen hier herum und spielte Manöver. In den Santa Cruz Mountains wohnten viele schräge Vögel, Leute, die in den siebziger Jahren hergezogen waren, um Acid zu schlucken und mit der Natur zu leben, und die dann hängengeblieben waren, Leute, die schlicht das Stadtleben satt hatten, ganz zu schweigen von solchen, die nur allzu gute beziehungsweise schlechte Gründe hatten, um unterzutauchen. Es war nicht zu sagen. Wahrscheinlich lebten inzwischen schon mehrere Generationen von Gelichter der verschiedensten Sorte hier oben …
Mach halblang, Mann! Die ganze Aufregung bloß, weil du was gesehen hast? Irgendwas Grünes? Im Wald? Langsam fängst du an zu spinnen, Junge.
Er war einsam, merkte er. Das Alleinsein brachte noch andere Probleme mit sich als Geilheit und Langeweile. Wenn man tagelang niemand hatte, mit dem man reden konnte, dann konnte einem auch niemand sagen, ob man dabei war, verrückt zu werden, oder nicht.
D ie Frau hinter dem Informationsschalter, eine stille Person mit einer Brille am Band, war auf ihre Art ausgesprochen hübsch. Sie lächelte über seine nervösen Witzchen, während sie ihm zeigte, wo die alten Nummern des Chronicle waren und wie man das Mikrofichegerät bediente. Er mußte sich beherrschen, um sie nicht auf der Stelle zu fragen, ob sie mit ihm ausgehen wollte.
Warum eigentlich nicht? Im schlimmsten Fall sagt sie nein.
Doch er hatte das Gefühl, daß eine Abfuhr ihn heute ziemlich hart treffen würde. Vielleicht konnte er gegen Ende der Woche noch einmal wiederkommen, ihr den Eindruck geben, daß er ebenfalls ein stiller, ernster Mensch war, und sie dann fragen. Aber allein dadurch, daß sein Interesse geweckt war, daß er über so etwas nachdenken konnte, ging es ihm schon besser.
Er wollte ein paar Nachforschungen über seinen Großonkel anstellen, aber vorher mußte er mehr über die Morde im Haus seiner Mutter wissen. Es war nicht schwer, im San Francisco Chronicle Informationen darüber zu finden, denn es war eine grausige und bislang unerklärliche Tragödie in einer ruhigen Wohngegend. Der Fall war am ersten Tag sogar auf die Titelseite gekommen, auch wenn dort nur zwei kleine Absätze in der unteren Hälfte gestanden hatten und der größte Teil des Artikels irgendwo weit hinten im ersten Teil.
Die Bilder des unglücklichen Ehepaars Marsh halfen seinem Gedächtnis auf die Sprünge. Sie waren jünger gewesen, als er gedacht hatte, Ende zwanzig. Sie war tatsächlich die gutaussehende Frau mit dem kurzen Rock gewesen, und jetzt erinnerte er sich auch an ihren Mann, der allerdings damals nicht viel gesagt, sondern sich während der Hausbesichtigung die meiste Zeit nur mit Mitteilungen auf seinem Handy beschäftigt hatte. Die einzige Äußerung, die ihm in dem Zusammenhang wieder einfiel, war die Bemerkung der Maklerin, was für ein wunderschönes »Erstobjekt« das Haus doch sei. Und anscheinend hatten die beiden ihr zugestimmt, denn er hatte jetzt ihr Geld auf seinem Konto.
Erstobjekt. Letztobjekt.
Er schob den unangenehmen Gedanken beiseite, weil ihm plötzlich etwas anderes in den Sinn kam. Konnte es passieren, daß der Kaufvertrag angefochten wurde, von den Eltern der beiden vielleicht? Wer war jetzt der Besitzer? Man konnte ihn doch nicht zwingen, das Geld zurückzuzahlen, oder? Es war vielleicht ein schäbiger Gedanke, aber zweihunderttausend Dollar waren für ihn kein Pappenstiel, und sie waren ohnehin schon weniger geworden, weil er die Jahresmiete für die Hütte im voraus bezahlt hatte, von anderen Ausgaben ganz zu schweigen. Er konnte im Moment nichts machen. Vielleicht rief er später das Maklerbüro an und fragte einmal nach.
In den Artikeln war viel die Rede davon, was die Nachbarn dachten – Mrs. Kraley wurde sogar mit der Äußerung zitiert: »Mit diesem Viertel geht’s bergab. Man weiß gar nicht mehr, was für Leute hier wohnen«, womit, wie Theo mit einem gewissen bitteren Stolz dachte, wohl genausosehr er gemeint war wie der Mörder.
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