Der Blumenkrieg
würde Martha Moosphlox auch die heißgeliebte Freiheit kosten. Wenn nicht mehr. Dennoch blieb sie in der Nähe der Kasse und des versteckten Päckchens, jetzt mit der Gewißheit, daß ihre Intuition richtig gewesen war: Wenn an diesem feuchtheißen Abend ein Wind geweht hätte, wäre er unheilschwanger gewesen.
Einige der anderen Gäste schienen den Eindruck zu haben, daß die Meinungsverschiedenheit beigelegt war, und nahmen ihre Gespräche wieder auf, doch die Atmosphäre im Raum war weiterhin gespannt. Martha sah, wie zwei von Stechapfels Kumpanen aufstanden und an den Pooltisch hinter dem Goblin traten. Sie griffen sich Queues und begannen, in lässiger Manier die Bälle über das Tuch zu schieben, doch im Grunde wollten sie nur verhindern, daß das erkorene Opfer ihres Anführers sich aus dem Staube machte.
»So«, sagte Orian Stechapfel. »Du hast doch gesagt, daß du uns eine Geschichte erzählen wolltest, war es nicht so? Eine richtige alte Goblingeschichte? Eine wahre?« Er schwankte etwas nach vorn, und erst da erkannte Martha Moosphlox, wie betrunken er war, und kaltes Entsetzen ergriff sie. Sie hätte nicht weggehen sollen. Sie schaute sich nach Wacholder um, wollte ihn losschicken, die Schutzleute holen, doch er war nirgends zu sehen.
»Erzähl mir eine Geschichte über Väter«, sagte der Stechapfelsprößling.
»Aber Junker, warum willst du eine Goblingeschichte hören?« Knopf schien weniger Angst zu haben, als Martha erwartet hätte, oder er verbarg sie gut. »Die Geschichten, die Goblins erzählen, sind wohlbekannt, und Leute wie du können ihnen wenig abgewinnen. Alle Goblingeschichten haben ein Loch in der Mitte.«
»Red keinen Quatsch! Erzähl mir eine wahre Geschichte! Über Väter, die zu lange leben.«
Bei den Bäumen! dachte Martha Moosphlox. Er ist wirklich betrunken – entweder das, oder er ist verrückt. Er fordert den kleinen Kerl auf, ihm weiszusagen … beziehungsweise seinem Vater, was noch viel schlimmer ist. Eine von vielen geglaubte, aber niemals definitiv bewiesene Volksweisheit besagte, daß Goblins manchmal die Zukunft voraussagen konnten. Doch ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht, es war mit Sicherheit nicht erlaubt, einen Blick in die Zukunft eines Ratsmitgliedes zu tun, und Stechapfels Vater war der Ratsvorsitzende.
Selbst einige der Gefährten des jungen Stechapfel wirkten jetzt ein bißchen nervös, doch die größenwahnsinnige Laune, die den Blumenjüngling ergriffen hatte, schien ihn jede Vorsicht vergessen zu lassen. Martha Moosphlox fragte sich, wieviel er getrunken hatte. Vielleicht war ja auch etwas anderes schuld – Geistkraut oder sogar Pitzelstaub. »Rede, Goblin! Irgendwelche Löcher in der Mitte interessieren mich einen feuchten Kehricht. Erzähle mir eine Geschichte!«
Knopf neigte das Haupt vor Orian Stechapfel. »So sei es denn.« Er holte tief Luft, hielt sie einen Moment an. Die in der Nähe sitzenden Gäste, die sich gestellt hatten, als hörten sie nicht zu, ließen jetzt die Verstellung sein.
»In alter Zeit«, begann der Goblin, »als alle Kreisläufe noch im Kreis liefen, lebte ein sehr alter Mann, ein Geizkragen, der kaum etwas auf der Welt liebte, ähem, als Gold. In seiner Jugend hatte er kurzzeitig eine Frau gehabt, und aus dieser Verbindung war ein Kind hervorgegangen, ein Sohn. Nachdem sie ihn verlassen hatte, war die Mutter des Jungen elend verhungert, ohne daß der Vater des Kindes ihr geholfen hätte.
Mit zunehmendem Alter fiel es ihm immer schwerer, sein Land zu bestellen und sein Haus in Ordnung zu halten, doch da er weiterhin mit seinem Geld knauserte, beschloß der Alte, seinen Sohn wieder zu sich zu holen. Er tat dies nicht aus Liebe, sondern aus dem Wunsch heraus, einen Diener zu haben, den er nicht bezahlen mußte. Viele Leute im Dorf sahen das, und viele munkelten untereinander, je eher der Alte stürbe und die Bäume düngte, um so besser wäre es für alle, auf deren Leben er Einfluß hatte.«
Orian Stechapfel schien die Geschichte des Goblins soweit zu gefallen: Er grinste breit, auf seinem Stuhl zurückgelehnt. Er saß jetzt allein am Tisch. Seine Freunde hatten sich an den Pooltisch zurückgezogen, wo sie leise und ein wenig besorgt miteinander tuschelten. »Um so besser, allerdings«, sagte Stechapfel und lachte glucksend.
»Nun hatte der junge Mann seinerseits einen Sohn, ja, einen ganz kleinen Jungen, und es begab sich, daß sie beide in das Haus zogen, und der Vater übertrug dem Kleinen viele der
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