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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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denn in dem Grau schillerte eine ganze Palette der verschiedensten Farbschattierungen. Es erinnerte an die Fassade eines seit langem verwitterten und verfallenen Betongebäudes oder an eine Mauer, auf der tausend Jahre lang in stetigem Wechsel Graffiti übermalt und wiederhergestellt worden waren. Gegen das Gesicht des Wesens jedoch war die übrige schwielige Haut nachgerade zum Küssen schön. Die Augen waren nur winzige rot funkelnde Pünktchen, tief verborgen unter derart mächtigen Brauenwülsten, daß sich jemand dahinter hätte verstecken können. Zwischen ihnen prangte ein formloser grauer, verkrusteter Klumpen, den man nur deswegen als Nase erkennen konnte, weil Nasenlöcher darin waren und weil er sich mehr oder weniger in der Mitte des Gesichts befand. Der Mund war offen und zu einem abstoßenden zähnefletschenden Grinsen verzogen, so daß Theos Finger sich unwillkürlich wieder in den Deckenrand krallten. Der glatzköpfige, graue, schauderhafte Koloß saß im Schneidersitz vor dem Bett, und trotzdem befand sich der Kopf wenigstens anderthalb Meter über dem Boden. Das Ding mußte, schätzte er schlotternd, soviel wiegen wie ein Mittelklassewagen.
    »Hallo«, röhrte es, beugte sich vor und zwinkerte dabei mit untertassengroßen Augenlidern. Seinem Mund entströmte ein Duft, wie man ihn eher am hinteren Ende eines Triceratops erwartet hätte. »Ich heiße Püppchen. Ich muß sagen, für ein Rotbackbübchen bist du richtig niedlich.«
     
    D as zweite Mal fächelte ihn der Luftzug winziger Flügel wach. Irgend jemand stand auf seinem Kinn und sagte gerade ärgerlich: »Das ist nicht witzig, du dämliches Ogervieh. Wenn ich hiergewesen wäre, wäre ich dir zur Nase hineingeflogen und auf eine Suchexpedition nach deinem Hirn gegangen, um es dir wieder zur Nase rauszutreten.«
    »Ach, mpftn«, grummelte die tiefe Stimme. »Es war doch nur ein Scherz. Die sind einfach so zart besaitet.«
    »Er hat eine Menge durchgemacht.« Das Fächeln hörte auf. »Los jetzt, Bürschchen! Wach auf!«
    Theo schlug die Augen auf.
    »Und guck mir nicht unter den Rock, du ungehobelter Flegel!« Mit einem kurzen Flügelschlag hob sie von seinem Kinn ab und schwebte einen Meter zurück, so daß er sich mühsam hochstemmen mußte, um sie zu sehen. Das massige graue Ungetüm saß immer noch am Boden, wirkte allerdings ein wenig geknickt. Es war kein Wunder, daß er es in seinem ersten Traum für einen aufrecht gehenden Elefanten gehalten hatte …
    »O je«, stöhnte er. »Wie bin ich hierhergekommen? Hast … du mich getragen?« Er stockte. »Und heißt du wirklich Püppchen?«
    »Richtig ausgesprochen hieße es …«, und sie rülpste ein malmendes, knirschendes Lautgebilde heraus, von dem Theo abermals die Nieren schmerzten. »Aber du darfst gern ›Püppchen‹ zu mir sagen. Ja, ich hab dich getragen. Abwechselnd mit meinem Bruder Teddybär.«
    »Teddybär …?«
    »So nennen Oger sich gern«, erklärte ihm Apfelgriebs. »Sie bekommen ihre Namen als Kinder, und zwar nach ihrem Lieblingsspielzeug. Aber du mußt deswegen nicht sentimental werden: Der Teddybär ihres Bruders war ein ausgewachsener lebender Bär, den er irgendwann aus Versehen zu Tode quetschte. Und Püppchen … na ja, Bürschchen, das erzähle ich dir lieber nicht, was sie als Puppe benutzte.«
    »Nein. Nein, lieber nicht.« Er schaute sich um, nicht zuletzt um dem Blick des gigantischen grauen Püppchens auszuweichen, das ihn schon wieder angrinste. Außer seiner Lederjacke, die an einem Bettpfosten hing, war alles um ihn herum sonderbar und ungewohnt. Er lag in einem ziemlich großen Zimmer, angefüllt mit geschmackvollen Kleinigkeiten von der Art, wie man sie häufig in besseren Pensionen findet. (Theo und Cat hatten einmal in Monterey übernachtet, und Theo hatte gestaunt, wieviel Geld man dafür verlangen konnte, daß man jemanden in einem freien Zimmer schlafen ließ, wenn man nur eine Vase mit Käsestangen auf den Kamin stellte und das geklöppelte Bild eines Otters an die Wand hängte.) Das Zimmer hatte weiche, schimmernde Stoffbehänge an der Wand und sehr wenig Dekor außer einem senkrechten Objekt aus Holz und Glas auf dem Nachttisch. Er vermutete, daß es sich um einen Radiowecker handelte, obwohl das Ziffernblatt dreieckig war und mehr unverständliche Symbole enthielt, als eine normale Uhr Ziffern hatte. Doch anders als die Pension in Monterey oder überhaupt die meisten Zimmer, die in die Kategorie »Gästezimmer« im Gegensatz zu »Zelle« fielen,

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